Jürgen Kuhlmann

Zweierlei Wir

Unterwegs zu ökumenischer Sprache

Kann die Sprache eines Stammes im Himalaya uns zu einer vernünftigen Theorie der Ökumene helfen? In den hier gebräuchlichen Sprachen gibt es nur ein einziges Wort, um »wir« zu sagen. Dort gibt es drei: eines, wenn man alle Anwesenden einschließt, ein anderes, wenn die eine Gruppe sich von der anderen abgrenzt, ein drittes für ein Paar mit sich allein. Von diesem letzten Wir-Sinn sehen wir jetzt ab, überaus wichtig ist jedoch der Gegensatz der beiden ersten. Anscheinend haben »wir Europäer« keinen Grund, auf unsere geistvollen Sprachen besonders stolz zu sein. Jene Bergmenschen denken weitaus genauer, wo es ums Wichtigste, um die menschlichen Beziehungen geht. (Spanier gar können »wir« anscheinend nur als »wir anderen« sagen!)

Dass es sich hier um unterschiedliche Begriffe handelt, die verschiedene Wahrheiten ausdrücken, nicht nur um Beschreibungen verschiedener Gefühls-Nuancen, versteht auch ein Abendländer sofort. Will ein gläubiger Mensch zu Glaubensgeschwistern und anders Gläubigen in reifen Beziehungen leben, dann muss er im Hinblick auf das Sein in der Wahrheit zwei Wir-Weisen deutlich unterscheiden: das Wir im gleichen Glauben (gegenüber einem anderen Glauben) und das Wir in derselben Liebe (die ihr eigenes Glaubenslicht bei sich hat und von Glaubensdifferenzen bewusst abstrahiert).

Weil Abstrahieren nicht Lügen ist, muss auch das Liebes-Wir uns als wahres Bewusstsein gelten. Weil Gott seine Freundin Schöpfung »mit bunter Pracht geschmückt« sehen will (Ps 45,14), deshalb ist der Gegensatz eines Glaubens-Wir zu einem Glaubens-Ihr nicht gegen die Liebe, sondern für sie notwendig.

Der Gegensatz beider Wir-Weisen nimmt vielfache Formen an, sogar innerhalb derselben Beziehung. Bekanntlich ist jede Ehe bei bestimmten Themen eine Mischehe, anderseits bin ich mit meinem Moslem-Freund, wenn wir gemeinsam »Gott ist größer« beten, durchaus in diesem lebendigen Glauben eins, nicht in der Liebe allein. Umgekehrt gibt es selbst zwischen Päpsten (was dank dem wunderbaren Geschenk der Zeit kein Unbegriff ist) und auch sonst innerhalb der einen katholisch-rechtgläubigen Kirche mehr oder minder schwerwiegende Bekenntnisgegensätze.

Die ausdrückliche Unterscheidung zwischen Glaubens-Wir und Liebes-Wir nimmt strengen vatikanischen Dokumenten ihren Stachel. Wird dort ein »Defizit« Andersgläubiger behauptet, dann meint die Glaubenssprache nichts anderes als den unvermeidbaren Mangel an buntem Leuchten: dem Außenblick auf unsere besonnte Dom-Rosette zeigt sich nur schwachbunt-Graues statt des blitzenden Funkelns, das unseren Innenblick beglückt. Dass auch die fremde Seele sich daheim ihrer strahlenden Gottespracht erfreut, die uns realen Katholiken oder Christen (noch?) unbekannt ist, das will kein römischer Schreiber leugnen - und wollte er es, dann würde solch grauslicher Irrtum nicht zum verbindlichen Sinn seines Textes.

Januar 2008


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