Jürgen Kuhlmann

Die drei Teufels-Dimensionen

Aus dem Gespräch von Anima und Christian

[Gott Du unser Selbst (Nürnberg 2000), S. 46-49]

... Nimm den Teufel. Jedes der drei Grundgefühle, gegen die anderen isoliert und zur angeblich einzigen Wahrheit verfälscht, entartet zu einem Bösen Prinzip. Je nachdem, von welchem der anderen es verurteilt wird, tritt es in zwei Grundformen auf. Die sechs negativen Urbilder sind schon vielfach versinnlicht worden. Anhand solcher Werke könnten wir lernen, wovor wir uns hüten müssen.

Was mir als erstes einfällt, ist der Teufel auf dem Altarbild von St. Michael in München, wie er vom Erzengel niedergestochen wird.

Hier hat der Künstler dargestellt, wie das egoistisch sich isolierende, gegen das Gute aufbegehrende böse Ich von der DU-Kraft des Guten überwunden wird.

Bist du sicher? Des königlichen Auftraggebers Deutung war das bestimmt: Thron und Altar wirken gegen das Chaos zusammen. Künstler sind aber undurchschaubar, ihre Werke offen. Als ich vor dem Bild saß - Michael von der Sonne bestrahlt, der Böse besiegt im Schatten - hatte ich Mitleid mit dem armen Satan. Steht, fällt er nicht für das von Gegenreformation und Inquisition geknechtete, jahrhundertelang niedergeduckte Ich des freien Menschen? Zwar hat er auf dem Bild eine Schlacht verloren, den Krieg aber nicht! "Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten's besser aus", stöhnten die Verlierer der Bauernkriege. Und die Enkel taten's.

Genau so wünsche ich es mir: Ein Bild, zwei gegensätzliche Deutungen, eine Stereo-Wahrheit. Nimm ein anderes Teufelsbild: Altdorfers Drachenkampf des heiligen Georg. Ein riesiger Wald [etwa viermal so hoch wie der Ausschnitt!], winzig der Ritter auf dem Schimmel. Vor ihm, fast unkenntlich im Gewirr, ein feister Riesenfrosch. Eine total andere Weise des Bösen. Nicht das rebellierende Ich tritt hier auf, vielmehr das verschlingende Eins, die Große Mutter in ihrer bösen Form, Kali die Fressende. Wie ich sie kenne! Schon als Kind bin ich vor ihr erschrocken. In dem Kinderbuch "Max der Ameisenkaiser" purzelt ein Trupp Ameisen in den Sandtrichter des Ameisenlöwen, unrettbar angezogen von dem fressenden Ungeheuer in der Tiefe. Den Schauder, der mich damals packte, rief Altdorfers Bild wieder hervor. War ich mit neunzehn, beim Abbruch des Tanzkurses und Eintritt ins Seminar, vielleicht sogar dankbar für den Zölibat?

Wer weiß? Wen geht das an? Zum Glück hat die grausige Fröschin sich dir jetzt in die lieblichste Prinzessin verwandelt.

Ah! Hoffentlich bleibst du's. Gibt es ein solches Märchen?

Keine Ahnung. In irgendeiner Höhle vor Zehntausenden von Jahren ist es wahrscheinlich erzählt worden; du hast es kaum als erster erlebt. Von welchem seiner Gegensätze aus wird das verteufelte EINS hier kritisiert?

Das bleibt offen. Für das Du spricht der Heilige, für das Ich der einsame Renaissance-Mensch. Die Frage hat der Künstler sich nicht gestellt, sein Thema war die böse Hexe in ihr selbst. - Der Du-Teufel ist dein Gebiet. Welches Werk fällt dir ein?

Kein Bild, ein Buch. Tilmann Mosers Gottesvergiftung [S. 29]:

"Es galt gleichzeitig als ausgemacht, daß bei dem, der dich nicht erreichte, etwas Schlimmes vorliegen müsse. Das brachte mich in die Lage einer keuchenden Ratte, die ihre Tretmühle in wachsender Panik immer schneller tritt. Du hast aus mir eine Gottesratte gemacht, ein angstgejagtes Tier in einem Experiment ohne Ausweg."

Hier bleibt offen, ob der teuflische Dompteur mehr vom Ich oder vom Eins verdammt wird; als gutem Therapeuten muß dem Verfasser an beiden Dimensionen gleich viel liegen.

In Sartres Stück "Der Teufel und der liebe Gott" ist es hingegen eindeutig das Ich, das den bösen Tyrannen abschüttelt: "Wenn Gott existiert, ist der Mensch ein Nichts ... Gott existiert nicht, Halleluja! Eitel Freude und Tränen der Freude ... Gott ist tot. Wir haben keinen Zeugen mehr ... Endlich allein!"

Wieder anders dürften buddhistische und gnostische Ich-Teufel einzuschätzen sein: als Verführer zu schlimmer Individualität, gegen die absolute Einheit, die allein unsere ganze Sehnsucht stillt.

Die ganze vielleicht, in der Eins-Stimmung, aber nicht jede. Die moderne westliche Sehnsucht meint das erfüllte Ich.

Und die fromme Sehnsucht sucht den guten Vater, einen Weg unter Deinen Augen, gemäß Deinem Wink.

Mir ist nicht wohl. So von drei Teufeln zu reden verharmlost das Böse. Kommt es nur auf den Blickpunkt an, ob ein göttlicher Pol als isoliert-böse erlebt wird oder als gut integriert: dann gerät das wirklich Böse aus dem Blick. An Auschwitz war nichts Zweideutiges. Eine Frage, welche Teufelsgestalt da am Werk gewesen sei, würde die Opfer beleidigen - spürst du das nicht?

Doch. Welche Wahrheit liegt diesem Gefühl aber zugrunde? Was ist das Schauerliche am Bösen?

Ich glaube: das Nein zum Sein. Das grundlose Ja zum Nichts. "Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht," höhnt Mephisto.

Das sagt er doch dem Schöpfer nach. Als zeithaft schafft Gott die Welt; damit Neues seine Chance habe, muß Altes abtreten. Stell dir vor, ein uralter Cäsar geböte immer noch in Rom.

Nicht auszudenken! Da zeigt sich aber der entscheidende Gegensatz: Das eine ist es, sich um eines neuen Seins willen in den notwendigen Untergang eines alten zu schicken. Böse ist es jedoch, aus Haß und Nichtslust gegen ein Wirkliches zu sein, sei es passiv, aus Schadenfreude, sei es aktiv als Schädiger, äußerstenfalls als Mörder. C.S. Lewis erzählt von einem Herrn, der mit spitzem Stöckchen eine um die andere Kröte neben seinem Weg totsticht, einfach so. Seit ich das las, ist diese kalte Grausamkeit für mich ein Ursymbol des teuflisch Bösen geblieben.

Teuflisch im vollen Sinn, nichtig nicht nur als Teilhabe am Nichts - das sind wir Geschöpfe allesamt - sondern auf schrecklich absolute Weise nichtig, wie Augustinus es sagt: "Peccatum nihil est et nihil fiunt homines cum peccant. Die Sünde ist Nichts, und Nichts werden die Menschen, wenn sie sündigen." Dabei ist es egal, welchem der drei Teufel sie anhangen: ob sie aus Ichsucht einen Mitmenschen schädigen, oder aus falschem Gehorsam, böser Dusucht des Schergen unbekümmert foltern, oder im Einheitstaumel Fremdes niedertreten -

sei dies Fremde auch ihr Eigenes; denk an Drogensüchtige. Unsere Rede von den Teufeln ist klarer geworden. Sofern jeder einen Seinspol zwar isoliert aber so gegen die Übermacht anderer doch auch rettet, stimmt die zweideutig-romantische Achtung, die das moderne Bewußtsein Teufeln und Hexen entgegenbringt; je nichtslüsterner sie sich aber austoben, um so grausiger grinst uns das pure Böse an.

Ihm gebührt unser Nein! "Ich bin der Geist, der stets verneint" - wieweit ein konkretes Nein! böse ist, weil es ein gottgewolltes Sein vernichten will, wieweit gut, weil es als doppelte Verneinung ein böses Nein durchkreuzt -

wie ja das Pluszeichen + nichts anderes ist als ein durchgestrichenes Minus -

das entscheidet sich endgültig erst beim Jüngsten Gericht. DANN werden deine und meine Wahrheit, die wir als Pole derselben Spannung jetzt glauben, sich voll offenbaren. Gott wird uns richten, jede und jeden in Gegenwart aller -

kein fremder, uns äußerer Gott aber, vielmehr setzt das Richterauge sich aus zahllosen Facetten zusammen: jedes geschundene Menschenkind blickt aus dem richtenden Auge mit heraus. Diese Vorstellung warnt vor Rücksichtslosigkeit. Es braucht dazu keine Religion, kein abgelöstes Gottesbild. Die Atheistin sieht dem Menschen sich gegenüber ins Auge und ahnt: das ist es. Auch sein Blick bestimmt über meinen Wert.

"Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben." Wenn Gott auf unserer Seite steht, stehen wir auch auf seiner. Dieser Gott, der in jedem Verletzten uns richtet, Ihn hat die Herrschaftsverstrickung der Kirche nicht unglaubwürdig gemacht. Ihn können die Gläubigen nach wie vor jedem Menschen vor die Seele malen. Deshalb hat der Theologe Johann B. Metz bei einem Kölner Vortrag im Dezember 1999 zum Ausweg aus der Gotteskrise gesagt: "Wirkt die Rede der Kirche so fundamentalistisch, weil Gottes Autorität von der der Leidenden getrennt ist, obwohl doch Jesus die ganze Menschheitsgeschichte unter die Autorität der Leidenden gestellt hat? Sie ist die einzige, in der sich die Autorität eines richtenden Gottes für alle Menschen offenbaren kann."

Könnte diese tiefe Einsicht die kirchliche Gottesrede prägen - oh, dann hätte ihre Botschaft für die Vielen wieder einen Sinn. Sogar ich würde dann vielleicht ein kirchlicher Mensch.


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