Jürgen Kuhlmann

Der notwendige Fall

Kommentar zu Aussagen des
katholischen "Weltkatechismus"

"Wurde, war / ist, lebt" (375/378), solche Abwechslung zwischen Vergangenheits- und Gegenwartsform beim Erklären des Paradieses ist höchst angemessen; denn unsere Alltagssprache kennt keine Zeitform, die jene gegenwärtige Vergangenheit ausdrückt, die der biblische Erzähler meint. Zwischen den Sauriern und uns war nie ein Paradies, auch jetzt ist es nicht, und doch sagt die Bibel Wahres und der Katechismus es ihr nach. Denn jedes Geschöpfes Ursprünglichstes ist die Idee seines Schöpfers, beim Dieselmotor wie auch beim Menschen. Gottes Idee von mir ist mein Frühestes, also war das Paradies; dies aber bei jedem Menschen je jetzt, also ist es. Die Computergeneration versteht solche Schwebung besser als frühere Zeiten: Ohne software, d.h. die wirksame Gegenwart vergangenen Denkens, könnte ich diese Sätze nicht tippen. Das Paradies ist die menschliche software, wie der Schöpfer sie ursprünglich programmiert hat. Doch Murphy's Gesetz gilt auch hier, nur deshalb "ist der leibliche Tod natürlich" (1006).

"Der Bericht vom Sündenfall ... beschreibt ein Urereignis, das zu Beginn der Geschichte des Menschen stattgefunden hat" (390). "O vere necessarium Adae peccatum," so sang, mutig und ehrlich, die römische Kirche vor dem Konzil in der Osternacht. Heute hat sie - nur in Deutschland? - solchen Mut nicht mehr, statt notwendig wird Adams Sünde heilbringend genannt. Auch im Katechismus wird zwar die "glückliche Schuld" zitiert (412), nicht aber Adams wahrhaft notwendige Sünde. Sie ist das aber (gewesen). Die Bibel läßt sich krampflos verstehen, ohne daß wir uns ein fast noch affenartiges Urmenschenpaar vorstellen, das irgendwann "seine Freiheit mißbrauchte" (397). Die Wahrheit ist einfacher: Für alle Männer und Frauen, also für Adam und Eva, "ist die Erbsünde 'Sünde' in einem übertragenen Sinn ... ein Zustand, keine Tat" (404). Im Symbol des Falls überlagern sich zwei Übergänge:

a) der "notwendige" (aber nie in der Zeit geschehene) Schritt von der vollkommenen Idee Gottes - Paradies (a) - zum schwierigen Beginn ihrer Verwirklichung in Fleisch und Blut. Die anfängliche Idee, in der Fülle der Zeit verwirklicht, ist des Menschen "Teilhabe am Leben Gottes, sie führt uns in das Innerste des dreifaltigen Lebens" (1997), zum Vollzug der drei göttlichen "Sinndimensionen" EINS, DU und ICH. Der "Schritt" aus ihrer göttlichen Koexistenz in die zerspaltene Realität ideologischer Sinnkriege erfolgt bei jedem Menschen immer wieder, als zeitloses Ereignis, deshalb und insofern "sind alle Menschen in die Sünde Adams verstrickt" (404).

b) Der zur Reifung ebenso notwendige (und real erfahrene) Schritt aus dem Paradies (b) kindlicher Geborgenheit im EINS in die Härte einerseits der unfreien Fremdbestimmung (DU), anderseits der freien Selbständigkeit (ICH). Denken wir uns zu den beiden verlorenen Söhnen in Jesu Gleichnis noch ihre kleine Schwester hinzu, die vergnügt in der Küche spielt und keinen ihrer Brüder versteht, während die über ihre Naivität wehmütig lächeln, dann erblicken wir ein klares Bild der drei möglichen Ergebnisse des Falls aus dem Paradies (a), d.h. aus der vollen Teilhabe des Idealmenschen an der Dreieinigkeit EINS/DU/ICH:

Erstens das Paradies (b), d.h. Friede und Unschuld, aber noch ohne echten Gehorsam oder freies Selbst: dies ist die Teilhabe nur an der EINS-Dimension Jesu. Sein "Jubel im Heiligen Geist" (Lk 10,21) hat die Relation des Logos zur Ewigen Huld in menschliches Bewußtsein übersetzt. "Der Heilige Geist versetzt in das Paradies zurück" (736).

Zweitens die Teilhabe nur an der DU-Dimension Jesu, an seinem Gehorsam dem fremden Willen des Vaters gegenüber. In ihm lebt - und stirbt - er die göttliche Relation des Logos zum Vater menschlich bis ins Letzte.

Drittens die Teilhabe nur an der ICH-Dimension Jesu, seiner herrlichen Selbständigkeit, die das dem SINN der Welt eigene Ewige ICH ins Menschliche übersetzt.

Alle drei göttlichen Seins- und Fühlweisen schwingen in Jesus aufs Vollkommenste ineinander: "In seiner Seele wie in seinem Leibe bringt Christus das Leben der heiligsten Dreifaltigkeit menschlich zum Ausdruck" (470). Freilich ist er auch in der Fülle der Zeit geboren. Wenn der dreieinige Überreichtum mittels eines chemischen Gehirns ein irdisches Gemüt prägen will, dann bedarf dies einer konfliktreichen Entwicklung:

"Der hl. Irenäus von Lyon, ein [von der Kirche überaus hoch geschätzter] Zeuge dieses Glaubens, erklärt" (172) auch dies: "Sollte aber jemand sagen:'Wie denn? Konnte Gott nicht von Anfang an den Menschen vollkommen machen?' so soll er wissen, daß Gott, der Unveränderliche und Unerschaffene, an und für sich alles vermag, das Erschaffene aber, eben weil es seinen Anfang erst später genommen hat, deshalb auch seinem Schöpfer nachstehen muß. Was eben geworden ist, kann nicht unerschaffen sein. Weil sie nicht unerschaffen sind, daher bleiben sie hinter dem Vollkommenen zurück. Weil sie jünger sind, darum sind sie gleichsam Kinder und folglich noch nicht gewöhnt und ungeübt in der Wissenschaft des Vollkommenen. Wie nämlich die Mutter ihrem Kinde vollkommene Speise reichen könnte, das Kind aber die zu starke Speise nicht vertragen kann, so war auch Gott imstande, dem Menschen die Vollkommenheit von Anfang an zu gewähren, der Mensch aber war unfähig, sie aufzunehmen; denn er war noch ein Kind. Und deswegen kam unser Herr in den letzten Zeiten, indem er alles in sich rekapitulierte, zu uns, nicht wie er selber hätte können, sondern wie wir ihn zu sehen vermochten. Er hätte nämlich in seiner unaussprechlichen Herrlichkeit zu uns kommen können; aber wir waren nicht im geringsten imstande, die Größe seiner Herrlichkeit zu ertragen. Und deshalb gab er, der das vollkommene Brot des Vaters war, sich uns gleichsam wie Kindern als Milch - denn das war seine menschliche Ankunft - damit wir gleichsam von der Mutterbrust seines Fleisches genährt, durch solche Milchnahrung gewöhnt würden, das Wort Gottes "zu essen und zu trinken", und damit wir imstande wären, das Brot der Unsterblichkeit, welches der Geist des Vaters ist, in uns zu bewahren" [Contra Haereses IV,38,1]. Jedes der drei Programme DU, EINS und ICH kann unser Verstand als Grundwahrheit annehmen und verstehen: ihre Vereinbarkeit aber, unser Einbezogensein ins dreieine Leben, überfordert stets seine Kapazität.

- DU bist mein Herr, ich habe zu kuschen, solches Du-Programm kennt jeder Abhängige seit seiner Kinderstube. Seine negativen Extreme sind der KZ-Scherge, der Sittenwächter in Teheran oder der Funktionär der römischen Kurie, der nur einen bestimmten Prozentsatz von Laisierungsgesuchen befürworten darf und die übrigen ablehnen, mithin so und so viele konkrete Schicksale schädigen muß.

- Alles ist EINS und ich bin dabei, das ist das allererste Programm überhaupt, so genießt die Leibesfrucht ihr geborgenes Dsein; jedes spätere Paradies (Sauna oder Meer, Rausch oder Sex, Tanz oder Gruppe) erreicht nie mehr für lange jene erste Wonne in IHR. Negative Extreme sind Drogensüchtige, Lüstlinge, auch jene Depressionsopfer, denen buchstäblich dauernd "alles eins" ist.

- Alles dreht sich um MICH, dieses Ich-Programm beginnt als Trotzphase des kleinen Kindes, verschärft sich als jugendliche Rebellion und bringt schließlich den eiskalten Geschäftsmann, Terroristen oder Sadisten hervor.

Man sieht: Hinter unserem Fall steht tatsächlich so etwas wie "der Fall der Engel" (390/391). Der Glaube verpflichtet uns aber keineswegs, diesen Mythos ebenso einseitig zu verstehen wie die Tradition der Herrenkirche: als gäbe es nur eine Art von Teufeln, solche, die nicht dienen wollen. Weil Gott dreieinig ist, müssen wir vielmehr auch die "verführerische widergöttliche Stimme" (391) dreifach verstehen. Ein Engel, eine persönliche Botschaft Gottes, verkehrt sich zum Teufel, wenn die Botschaft mißverstanden und aus dem wahren Glied des dreieinigen Mobile der verlogene Klotz eines der drei Mono-Irrtümer wird.

Spaltet sich die göttliche Ich-Dimension ab, dann entsteht der traditionelle Teufel, der Egoist und Aufrührer. Spaltet sich die Du-Dimension ab, dann droht jener Vampir-Götze, der auf den fundamentalistischen Flügeln aller Religionen sein satanisches Unwesen treibt. Spaltet sich die Eins-Dimension ab, dann wirkt sie als dämonische Regression, als in den Strudel der Vorbewußtheit zurücksaugende Urhexe.

Affe Gottes heißt der Teufel auch. Das vergiftete Gottesbild unterdrückerischer Religion ist der Affe des Vaters; der hochmütige Empörer, der seine Freiheit egoistisch mißbraucht, ist der Affe des Sohnes; der schleimige Sog auflösender Wonne ist die Äffin der Heiligen Liebe.

Alle drei Fehlformen des reinen Geistes sind wirklich, mächtig und persönlich, weil Zerrbilder des Allmächtigen selbst. Jeder Aspekt Satans ist "zwar mächtig, weil er reiner Geist ist, aber doch nur ein Geschöpf" (395), ein Geschöpf deshalb, weil es sich notwendig ergibt, sobald Gottes Schöpferkunst auf die anfängliche Unfähigkeit endlicher Gehirnstrukturen stößt. "Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören" (394). Jesus hat uns jede trinitarische Dimension und so auch deren Vereinbarkeit vorgelebt: kindliche Geborgenheit, letzten Gehorsam und freiestes Selbst. Was kein Verstand zusammendenken kann, kann die christliche Vernunft seither zusammenglauben und -ahnen.

"Was die Sünde, im besonderen die Erbsünde, ist, sieht man nur im Licht der göttlichen Offenbarung" (387). Richtig. Man muß diese allerdings mit Jesu Augen ansehen, nicht nur mit denen des älteren Sohnes! Für den ist, klar, "die Sünde ein Mißbrauch der Freiheit" (387), eine Ich-Fixierung; deshalb sieht er nur des Bruders Sünde. Ebenso macht es der Katechismus; kein Wunder, daß der ältere Sohn in ihm nicht vorkommt - ist er doch sein Autor. Achtmal wird der verlorene Sohn zitiert, einmal (1439) in rührender Ausführlichkeit, wie im Religionsbüchlein für Kommunionkinder. Der Ältere aber (dem Jesus die Geschichte doch erzählt hat - Lk 15,2f - auf dessen Krise, als ihren Höhepunkt, sie hinausläuft!), er taucht nicht auf. Denn dann müßte er auch der eigenen Variante der Ursünde innewerden, der selbstentfremdeten und lieblosen Du-Fixierung eng-religiöser Autoritäten, und das zu tun weigert die offizielle Kirche sich. Mit Recht? Vielleicht, weil Ichsucht und Genußsucht auch ohne gesellschaftlichen Apparat stark genug sind, die Diensucht jedoch (deren notwendiger Gegenpol) eine institutionelle Stütze braucht? Mag sein. Ich schreibe ja aber ohne offiziellen Auftrag, darf freimütig den Exorzismus über alle drei uneinigen Fratzen teuflischer Ursünde ausrufen. Deren dritte ist die Eins-Fixierung derer, die der Hexerei der Großen Breiköchin verfallen sind, weil sie dem sinnlosen Einerlei des unstrukturierten Ganzen weder auf Deinen Befehl noch durch eigenen Schwung entkommen.

In welcher Reihenfolge und relativen Stärke die drei Teufel auf Einzelne und Völker wirken, bestimmt deren individuelle Lebenslinien. Mündig und gesund ist erst, wer die göttlichen Dimensionen so in Balance hält, daß keine Teufelei hervortritt. Jesus und Maria sind uns Vorbilder und Helfer (411). Christus hat nicht nur "durch seinen Gehorsam ... den Ungehorsam Adams [d.h. des Menschen] mehr als nur wiedergutgemacht" (411), sondern auch durch seinen freien Selbstvollzug jede menschliche Selbstentfremdung überwunden und durch sein nie verlorenes Urvertrauen alle Angst besiegt. "Jesus ist der neue Adam, der [nicht nur] treu bleibt" (539) [sondern ganz, unzerspalten drei-einig]. Deshalb ist er für uns "der Weg und die Wahrheit und das Leben" (459).

[Aus: "Unterwegs im Glauben" (1993)]


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