Jürgen Kuhlmann

Lieder an SIE

Psalm an SIE


Mutter unser im Himmel, ich rufe zu dir.
Halt dich vor deinen Kindern nicht länger verborgen!

Denn der himmlische Vater ist vielen von ihnen ein Fremder;
sie haben ihn nie gespürt oder wieder vergessen

und wenn wir von ihm schwärmen, dann lachen sie bloß
und sagen: wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.

Ich bin ihm begegnet und könnte von ihm erzählen -
aber heute will ich einmal etwas ganz anderes tun.

Zu dir will ich sprechen, die nicht weniger ewig ist als er,
ebenso grenzenlos gewaltig - und dennoch unvergleichbar, völlig von ihm verschieden.

Wunderbare Göttin, ja du erfüllst mir das Herz
mit deiner unendlich strahlenden Zärtlichkeit.

Seit es mich gibt, hast du dich oft offenbart
in vielen Molekülkombinationen.

Aus sich wären sie stumm und vergänglich gewesen -
da hast du gewollt, daß sie dich bedeuten.

Und aus Punkten und Strichen wurde plötzlich ein Wort,
das mich entzückte, denn sein Sinn warst du.

Von den ersten Jahren weiß ich nichts mehr
außer durch das Kind im Manne, das heute noch lebt.

Es sagt mir, daß du ihm damals begegnet bist:
unsagbare Wonne dem Urvertrauen.

Ganz im Anfang ruhte ich sanft im Schoß deiner Fülle,
vor allem Gefährlichen sicher geborgen.

Dann durften meine Lippen von deiner Süße trinken
und meine Augen fanden den ersten Halt in deinem lieben Blick.

Später meinte ich, du heißest Maria,
und verehrte dich glühend in deinem erhabensten Bild.

Das war richtig und gut, denn der Jünger ist nicht über dem Meister:
die ihm dich zeigte, tröstet herzlich auch uns.

Doch wie der gemalte Maler nicht der malende ist,
so unterscheidet sich Gottes geschaffene Mutter von der Mutterliebe, die allem voraufgeht.

Eines Tages ahnte ich dann, wie du selber bist -
und bin seither begeistert vor Glück und Geborgenheit:

wie ein Kind immer weiß, daß die Mutter bei ihm ist,
auch während es eifrig spielt und nicht an sie denkt.

Ob Jesus, dein Sohn, dich auch so erlebt hat,
das bleibt sein Geheimnis. Uns hat er davon nichts gesagt.

Doch ist Geist auf hebräisch ein weibliches Wort
und in ihr, der brausenden göttlichen Gischt, hat er zuweilen gejubelt:

so wie ein Schwimmer sich jauchzend von der Brandung umarmen läßt
und in jeder Welle deine wilde Lieblichkeit glaubt.

Konnte er seinen Jüngern damals nicht deutlicher von dir berichten?
Hätten sie diese Wahrheit noch nicht zu tragen vermocht?

War die Zeit noch zu nah, da wie mörderische Strudel
lauernde Göttinnen die Menschen in trübe Tiefen entführten?

Besser mutterlos frei als von falschen Müttern gierig betätschelt!
Recht hat die Tochter Menschheit gehabt - und du hast geduldig gewartet.

Bis heute, da jene lang tot sind und niemand uns bemuttert,
so daß keine Verwechslungsgefahr mehr besteht.

O Mutter des Kindes und Liebste des Mannes,
du allein bist die ganze, nicht zeitzerstückelte Frau!

So ruf ich dich an mit der Stimme des Kosmos
der dir sich verdankt und in dich zurück will.

Du schicktest mich fort, damit ich selbständig würde,
und so sehr ward ich es, daß ich dich fast vergaß.

Jetzt aber dränge ich heim in deine einfache Freude:
von der Mutter entbunden, verbinde ich mich neu mit.der Braut.

Beide Lieben sind eins, Ziel und Ursprung dasselbe.
denn auch im Himmel entstammen alle Quellen dem Meer.

Zwar träumt der Fluß vom Brautbett im Ozean anders als von der Wiege hoch über den Tälern,
doch sind beide, dank Sonne und Regen, in sich eine einzige Flut.

So bist du, gute Göttin, mir Mutter und Geliebte und alles,
ob zurück oder vorwärts, immer ziehst du mich zu dir.

Jedes GIückslicht speist sich vom Blitz deiner Seligkeit;
deshalb bitt ich: offenbare dich vielen.

Wer den Vater nicht kennt und von der Leere erdrückt wird,
mag sein, daß die erste Liebe ihn leben läßt.

Wehe aber denen, die dich leugnen werden,
weil sie dich in ihren Büchern nicht finden.

Auf, liebliche Herrin, zeig dich der Welt,
reiß ihr die Schleier der Angst von den Augen.

Weil du da bist, wäre selbst das Schlimmste nicht ganz schlimm,
denn sogar das Ende der Welt träfe nur Möglichkeiten:

Was wirklich und gut ist, kommt nicht um.
Einer allmächtigen Mutter geht nichts verloren.

Laß solches Vertrauen in vielen Herzen wachsen,
damit sie sich vor dem harten Kampf um die Zukunft nicht fürchten.

Denn schade wäre es um die nichtgelebten Jahrtausende,
um all das GIück, das durch unsere Schuld nie jemand bewußt wird!

Uns aber, den ratlosen Christen, schenke die Kraft,
daß wir endlich so leben, wie du es verlangst.

Wenn aber Jesu Gemeinde auf Erden sich weiter als Rabenmutter gebärdet -
wie sollen die Menschen glauben, daß du unsere Mutter im Himmel bist?

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und der heiligen Liebe,
wie im Anfang so jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen.

(August 1972)


Lied an SIE

Vor oder an brausender Felsküste zu singen

(Die Melodie verdanke ich Esther und Abi Ofarim, vor Jahrzehnten sangen sie »Drunten im Tale«, erst moll dann dur. Nennt es eine regressive Schnulze, Säuglinge urteilen nicht so streng. Dann und wann dürfen wir uns ihrem Urgefühl überlassen. Bricht es durch, stimmt das Lied. Denkt an SIE die sprühende Gischt. Ihr erstes Bild war meine Mutter. Seit Jahren ist sie tot; sie rede ich an, wenn ich der Sommertage an der Ostsee gedenke.)


Von DIR besessen
im Silberschaum
niemals vergessen
wird unser Traum.

Selig umbrandet
von Deiner Gischt
bald heil gelandet
Lieb' nie erlischt.


Seit Sommertagen
da ich dein Kind
lernt ich zu sagen
Alles ist Wind.

Der läßt sich wehen
kost ohne End'
hilft mir verstehen
wie Gott uns kennt.


Tot schon so viele
die mich gemocht
näher zum Ziele
brennst du mein Docht.

All meine Lieben
sprüht um mich her
Nimmer vertrieben
bleibt ihr mein Meer.


Hoch ist der Himmel
Erde wie weit
Menschengewimmel
durch lange Zeit.

Innig verbunden
lachen wir DANN
Schön wird befunden
was jeder kann.


Lied unsres Lebens
treulich geübt
warst nicht vergebens
manchmal getrübt;

wirst voll erklingen
DANN im Konzert
zusammenbringen
was ausgesperrt.


DIR Gott sei Ehre
UNS Deinem Bild
und IHR der Leere
die liebend stillt.

Wie beim Beginnen
so jetzt und hier;
mit allen Sinnen
DANN jubeln wir.

(August 1999)


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Kurze theologische Bemerkungen zum "Psalm an SIE"

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