Jürgen Kuhlmann

DIE BLUTWURSTBALLADE


oder

die Wandelbarkeit kirchlicher Normen


Szene aus der Antike


[»Es hat dem Heiligen Geiste und uns gefallen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch zu meiden, und Blut, und Ersticktes, und Unzucht.« (Apostelgeschichte 15,29]


Schon als kleines Kind hab ich sie so gemocht,
warum wollt Ihr sie mir jetzt verwehren?
Hätte Eure Mutter sie Euch je gekocht,
bräuchte es nicht mich, Euch zu bekehren.


Lieber Jüngling aus Germaniens rauhem Land,
mich ergreift der Schmerz in deinen Worten.
Doch die Blutwurst ist vom Christentisch verbannt.
Das war immer so und allerorten,


seit's die heiligen Apostel beim Konzil
- Acta fünfzehn steht das aufgeschrieben -
allen kundgetan im feierlichsten Stil.
Diese hehre Vorschrift sollst du lieben.


Hochwürdiger Vater: Nein! Das kann ich nicht.
Mir kommt vor, sie sei ein gar verderblich
Stück der Peitsche, die der Satan flicht.
Ach, die Pharisäer sind unsterblich ...


Still! Du gehst zu weit. Ein Kirchenchrist ist nur,
wer wie alle folgt den Richtungsschildern;
ohne ihr Geleit hält keiner seine Spur.
Füg dich ein. Sonst wirst du schnell verwildern.


Gott! Wie lustig lockt die Blutwurst hier im Topf.
Ist es wahr, daß DU sie mir verbietest?
Tät ich kühn, wozu mich drängt mein eigner Kopf -
könnt es sein, daß DU - m i c h höllisch brietest?


Trau ich DIR das zu, was halt ich dann von DIR!
Hieße das nicht Deine Güte lästern?
Links schnappt Rebellion und rechts faßt Angst nach mir.
Schwarz verfinstert ist das Licht von gestern.


- - - - - - - - - - - - - - - - -? - - - - - - - - - - - - - - - -


Wie die Kirche heute denkt, das schmeckt der Christ,
dem im Pfarrhaus seine Blutwurst mundet.
Wann das päpstliche Dekret ergangen ist?
Das hat noch kein Theolog erkundet.

Nachschrift im August 2006

Manches Jahr, nachdem die Ballade entstand, hat ein psychoanalytisch gebildeter Freund mir erklärt, daß es hier in ganz anderem Sinn um die Wurst geht, um jene blutprall lebendige Wurst, deren Genuß mir nicht durch ein längstvergessenes Dekret versagt war, sondern durch ein damals und leider immer noch grimmig aktuelles Kirchengesetz für die Priester des lateinischen Ritus.


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