Jürgen Kuhlmann

Der Heilige Geist als Mutter

Die wiederauflebende Marienverehrung in der römisch-katholischen Kirche erschwere - so der evangelische Bischof Harms von Oldenburg - die Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten. Zum Beispiel habe der Papst den Kroaten erlaubt, den Pfingstmontag als Marienfest zu feiern. Da werde die Gottesmutter geradezu in die Nähe des Heiligen Geistes gerückt!

Aber so weit darf es nicht kommen, daß um den Heiligen Geist, das Band der Einheit, und Maria, die Mutter des gemeinsamen Herrn, gar noch neuer Streit aufbricht. Während für weite Teile der kirchlichen Basis die Einheit der Christen ihre Spaltungen ähnlich überstrahlt wie zuweilen Gottes Sonne - zum Verdruß der Autofahrer - den Grün/Rot-Widerspruch menschgemachter Ampeln; während Katholiken evangelische Kirchentage mitfeiern und alte Trennlinien allmählich in die Folklore-Schublade absinken: da hat die Theologie neue Hecken sofort radikal zu beschneiden. Der Heilige Geist und Maria gehören nicht verwechselt und doch zusammen: auf diese christliche Stereo-Wahrheit haben die Glaubenden aller Konfessionen ein Recht.

Die heilige Ruach

Man muß kein Feminist sein, um den männlichen Artikel des Wortes "Geist" zu beklagen. Immerhin ist das sinnliche Grundwort weiblich: "die (sprühende, brausende) Gischt" .Das Pneuma im griechischen Neuen Testament ist sächlich. Anders am Ursprung der Offenbarung: "Ruach" (Geist) ist auf hebräisch und aramäisch ein weibliches Wort. Die Propheten, Jesus selbst und die Apostel, sie alle hatten also, sprachen sie vom Heiligen Geist, wenn überhaupt eine Person, dann eine Sie im verborgenen Bilderreich ihres Unterbewußtseins und keineswegs wie wir einen irgendwie gestaltlosen Er. Soviel Macht hat die Sprache. (Laut Hieronymus ist bei den Hebräern der Heilige Geist weiblich; sie legen den Psalmvers "Wie die Augen der Magd auf die Hände ihrer Herrin" auf die Seele und ihre Herrin, den Heiligen Geist, aus -PL 24, 419.) Allerdings ist dieser grammatikalische Befund nur ein Hinweis; Jesu weiblich getöntes Bild des Heiligen Geistes könnte für uns ähnlich unverbindlich sein wie andere unübersetzbare Färbungen seiner Bewußtseinswelt. Es gibt aber auch gute Sachargumente, sich die Person des Heiligen Geistes eher weiblich vorzustellen.

"So schuf Gott den Menschen als sein Abbild. Als Gottes Abbild schuf er ihn. Er schuf sie als Mann und Frau" (Gen 1, 27). Würde in einer denkbaren matriarchalischen Kultur zu einer höchsten Göttin als oberstem Prinzip gebetet und hätte diese eine gottmenschliche Tochter, dann wäre dort die Rede von q dem Heiligen Geist als drittem Prinzip angemessen. Das aber ist, für uns, abstrakte Träumerei; Christus ist und bleibt ein Mann. Derart fundamental läßt eine Kultur sich nicht umpolen. Einerseits gehört, wie die Genesis andeutet, die Geschlechterpolarität mit zum "Bild" Gottes, anderseits bleibt Gott-Vater für unsere Vorstellung notwendig männlich. Dem christlichen Gottesbild fehlt so lange eine wesentliche Seite, wie nicht die heilige Liebe als sie verehrt wird.

Einen wichtigen Fortschritt in der Erkenntnis des Heiligen Geistes brachte 1963 das Buch "Der Heilige Geist als Person" von Heribert Mühlen. Modell für das Trinitätsverständnis ist hier das Beziehungsgefüge Ich - Du - Wir. Ich ist die erste Person, grammatikalisch wie theologisch, der Ursprung ohne Ursprung.[Zusatz 2001: DU und ICH gehören vertauscht!] Du ist die zweite Person, das von der ersten ausgehende Gegenüber zu ihr. Und Wir ist - unrückführbar auf Ich oder Du und insofern ein Drittes - das Liebesband beider, die vermittelnde Einheit, die von mir und dir gemeinsam ausgeht. Diesen Aspekt betont die lateinische Theologie; dagegen besteht die griechische darauf, daß der Geist vom Vater allein ausgeht. Warum? Vielleicht werden beide sich leichter als zwei Seiten eines Geheimnisses und dann auch gegenseitig anerkennen, wenn zu ihnen hinzu auch noch die dritte entwickelt wird.

Im Kolosserbrief (1,13) heißt Christus "Sohn der Liebe" des Vaters. In den Übersetzungen wird diese Feinheit meist - als bloß orientalisches Stilmittel - verwischt, so daß sie dem deutschen Leser nicht vertraut ist. Ernst genommen, läßt sie sich so verdeutlichen: zwar geht einerseits das Wir aus Ich und Du hervor, umgekehrt verdankt sich aber auch das Du dem Wir. Aus ewiger Liebe, nicht nur zu ihr hin, bringt das Ich sein Du hervor, dessen Gegenliebe dann das Wir vollendet. Da es in Gott kein zeitliches Vorher und Nachher gibt, spricht nichts gegen, alles für den wechselseitigen Hervorgang von Du und Wir auseinander. Daraus folgt: die Dreieinigkeit ist auch Urbild der Familie. Die heilige Begeisterung, in der Jesus gejubelt hat (Lk 10,21), weil sie nie von ihm entbunden worden ist, sie darf auch als Mutter des Sohnes verehrt werden.

Die ewige Liebe als Mutter

Warum ist die Vorstellung einer Mütterlichkeit in Gott der Kirche abhanden gekommen? Ich vermute, aus mehreren Gründen. Zum einen lockte in der Antike, als das Christentum sich ausbreitete, Venus, die heidnische Liebesgöttin, noch zu verführerisch, als daß die Kirche unbefangen von der wahren Göttin Liebe hätte sprechen mögen. Zum andern betonten die Arianer, der Logos sei aus dem Willen des Vaters hervorgegangen. Den Willen verstanden sie als Entschluß und folgerten, also sei der Logos nicht wesensgleich. Gegen diese Irrlehre, die das Christentum ins Herz getroffen hätte, kämpfte die Kirche mit äußerster Kraft; da hatte die These, daß der Sohn aus dem Willen (nämlich der ewigen Liebe) Gottes ausgehe, keine Chance. Drittens schilderten gewisse Gnostiker die göttliche Mutter Christi als eine Art Hexe: "Sogleich ergriff mich meine Mutter, der Heilige Geist, an einem meiner Haare und trug mich auf den großen Berg Tabor" (Hebr.-Ev.). So ist es gekommen, daß die zu unserer seelischen Ganzheit nötige Wahrheit von Gottes Mutterschaft auf Jahrhunderte in Dornröschenschlaf versank.

Alle großen Zeitungen der Welt brachten im Herbst 1978 eine Nachricht vom Petersplatz. Ich erzähle sie mit eigenen Worten; denn ich stand dort. Es ist Sonntag, der 10. September. Dicht gedrängt warten Tausende. Pilger, Römer, Touristen, alle schauen wir hinauf zum obersten Stock des Papstpalastes. Kurz nach zwölf Uhr tritt Johannes Paul I. ans Fenster. Er spricht von den Verhandlungen in Camp David zwischen den USA, Israel und Ägypten, zeigt sich bewegt darüber, daß die Staatsmänner dieser drei Staaten ihre Hoffnung auf Gott ausgedrückt haben. So habe sich der damalige israelische Premier Begin daran erinnert, wie das jüdische Volk sich in schwerster Lage schon einmal bei Gott beklagte: Du hast uns verlassen, hast uns vergessen. Nein, hat Gott durch den Propheten Jesaja geantwortet. Kann vielleicht eine Mama das eigene Kind vergessen? Aber sogar wenn das geschähe, wird doch Gott nie sein Volk vergessen.

Ein unerhörtes Papstwort

Wörtlich fährt der Papst fort: "Auch wir hier haben dieselben Gefühle. Für Gott sind wir Gegenstand einer unüberwindlichen Liebe. Wir wissen: Gott hat die Augen immer offen über uns, auch wenn es scheinbar Nacht ist. Gott ist Papa, mehr noch, ist Mutter, will uns nichts Schlechtes tun, will uns nur Gutes tun, uns allen. Wenn Kinder vielleicht krank sind, haben sie noch mehr Anspruch, von der Mutter geliebt zu werden. Und auch wir, wenn wir vielleicht an Schlechtigkeit erkrankt sind, haben noch mehr Anspruch, vom Herrn geliebt zu sein."

"Gott ist Mutter" - ein unerhörtes Papstwort. Natürlich sollen wir nicht zurück zum einseitigen Mutterkult vergangener Epochen, gegen den sich die Propheten mit Recht gewehrt haben. In der Sozialgeschichte folgt auf das Matriarchat das Patriarchat und auf dieses jetzt allmählich die Zeit der ebenbürtigen Partnerschaft. Ihr muß im christlichen Glauben die Gleichberechtigung des weiblichen mit dem männlichen Gottesbild entsprechen. Freilich kann niemand sich eine Person vorstellen, die zugleich Vater und Mutter wäre. Vor Jahren debattierte ich mit einem evangelischen Theologen über den Satz, den Jesaja Gott sagen läßt: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" (66,13). Daran sehe man doch, meinte ich, daß Gott ebensosehr Mutter wie Vater sei. Nein, widersprach der andere: Gott sage, daß er wie eine Mutter ist - "aber der das sagt, ist Gott der Vater".

Soll für das christliche Gemüt die göttliche Mutter dem Vater wirklich gleichberechtigt zur Seite stehen, dann muß die Mutterschaft des Heiligen Geistes zum klar erfaßten Glaubensinhalt werden. Wie aber? Nun, wir könnten beim privaten Gebet etwa das Kreuzzeichen verdeutlichen: im Namen des Vaters und des Sohnes und der Heiligen Liebe (oder: Begeisterung). Doch täuschen wir uns nicht: Was nicht in der Liturgie sich ausdrückt, wird kaum tiefe Wurzeln schlagen. Was also tun, um das Urvertrauen der Christen mit dem mächtigsten Symbol zu stärken?

Maria, Gefäß des Geistes

"Göttin, bleibe gnädig!" Muß der letzte Vers vor dem Schlußchor des Faust uns als Ketzerei gelten, oder sieht der Doctor Marianus - durch die Mutter Gottes hindurch und tief in ihr - die Göttin-Mutter selbst? "Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan": dürfen wir das geheimnisvolle Ende des gewaltigsten deutschen Dramas auch als Christen wörtlich nehmen? Mir fällt ein, wie vor Jahren ein französischer Bub im Ferienlager das Abendgebet eingeleitet hat: "Jetzt wollen wir unserem Vater und unserer Mutter im Himmel danken für den schönen Tag, den sie uns geschenkt haben." Folgten ein Vaterunser und ein Ave-Maria. Vor Weisen und Klugen verborgen, den Kleinen aber geoffenbart? Vater und Mutter gehören zueinander, das ist doch klar? Die Mutter Gottes als "Ikone", als lebendiges menschliches Bild für Gott, "der" auch Mutter ist - das ist seit alters die katholische und orthodoxe Lösung des beschriebenen Problems.

Erinnern wir uns, was mit Gottes Mütterlichkeit eigentlich gemeint ist: das bergende, verbindende göttliche Wir, insofern es als Liebe des Ich zum Du diesem ewig voraufgeht. Das Wir ist aber nun nicht im selben Sinn "Person" wie Ich oder Du. Ein Wir kann grundsätzlich nie gegenüberstehen, nie jemand anders zu mir sein. Wo immer eine Gruppe einer anderen oder einem einzelnen gegenübertritt, da tut sie das (trinitarisch gesprochen) als Ich oder Du, während das Wir immer die vermittelnde Einheit beider Pole ist. Das Wir kann mithin nie gegenüber sein, ist eher eine Atmosphäre, ein Milieu. Jene antiken Christen, die nur im Heiligen Geist beten wollten, nicht zu ihm, hatten so unrecht nicht.

Diese innergöttliche Einmütigkeit, die Liebesbegeisterung von Ich und Du, hat sich in Maria eingesenkt, sie ganz mit sich erfüllt, an der göttlichen Mutterschaft teilhaben lassen: "und sie empfing vom Heiligen Geist." Das ist der ursprüngliche Sinn dieser Wendung.

Als "lux beatissima", seligstes Licht, preist der Pfingsthymnus den Heiligen Geist. Wie der Beter, der ein farbiges Kirchenfenster betrachtet, in ihm und doch unmittelbar das Sonnenlicht leuchten sieht, so ist und bleibt Maria Geschöpf, doch lebt in ihr die ungeschaffene Zärtlichkeit selbst. Unsagbar und unvermittelt jubelt Gottes Wir in uns, sofern aber der ausdrückliche Zugang zu ihm durch Geschöpfe vermittelt wird, lasse ich die Abstrakta "Geist" und "Liebe" mir gern von Maria konkretisieren. Daß sie nicht Gott ist, betont sie selbst: "Siehe die Magd des Herrn." Doch ist sie göttlicher Begeisterung und Mutterschaft voll. Nein: die lebensnotwendige Wahrheit von Gottes Mütterlichkeit hat in der Kirche nicht geschlafen, sondern als Marienverehrung viele Herzen mit Trost und Hoffnung erfüllt.

Die Gefahr dieser Sicht liegt darin, daß die wichtige "graue" Wahrheit Mariens (Frau, was habe ich mit dir zu tun; Maria unter dem Kreuz) von der goldenen leicht aus dem Bewußtsein verdrängt wird. Aber wir beten ja auch den schmerzhaften Rosenkranz ...

Veröffentlicht in "Christ in der Gegenwart" 1980, 173f. Nachgedruckt in: Begründetes Vertrauen (hgg. v. Manfred Plate, Freiburg 1984),36-40


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