Jürgen Kuhlmann

DREI-EINS in gerechter Sprache

Ein Denk-Vorschlag

»Die ‚Bibel in gerechter Sprache’ nimmt die Gottesbezeichnung ‚Vater’ ausschließlich als Problem wahr«. Das ist einer der Hauptpunkte der Kritik zweier evangelischer Theologen an dem vielumstrittenen linken Bibelprojekt (F.A.Z. 06.06.2007, S.9). Ich schlage vor, diesen Gottesnamen, den ja Jesus selbst uns geschenkt hat, in voller, uneingeschränkter Kraft zu lassen und zugleich trinitarisch korrekt zu »relationieren«. Etwa so:

Die tiefste Wahrheit des Feminismus

Im Namen der weiblichen Würde protestiert frau: Mit welchem Recht wird immer der Vater zum Urgrund, zum urgöttlichen Pol erklärt? Die Religionsgeschichte zeigt das Gegenteil; am Anfang steht die undifferenzierte mütterliche Einheit des Ganzen. Nicht einmal von der patriarchalischen Bibel konnte sie ganz verschwiegen werden. "Göttliche Gischt brütete über den Wassern" (Gen 1,2), damit fängt alles an. Der erste Satz ("Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde") beschreibt kein Ereignis, ist vielmehr die Überschrift zum ganzen Bericht! Das Erste ist also die Eins-Dimension als eine Art Urschoß: Finsternis, Feuchte, brütende weibliche Lebendigkeit. Erst dann sprach Gott: Es werde Licht.

Der (eher männlich gestimmte) Gegensatz Subjekt/Objekt offenbart sich also als nachträglich zur Ur-Einheit. Nur dank der Offenbarung wissen wir aber etwas vom inneren göttlichen Leben. Deshalb muß, wenn überhaupt eine Reihenfolge, dann diese in der Dreieinigkeit gelten: Erst die ungeschiedene Ruach und dann, als Differenzierung der Ur-Einheit, der Gegensatz von Subjekt und Objekt, d.h. Vater und Sohn. Nicht der Vater ist also der Urgrund, vielmehr der Heilige Geist, der aber kein Er ist, sondern die urgöttliche Sie, unsere Göttin vor dem Gegensatz von Himmel und Erde, Ihr sei Lob und Dank.

Da hilft kein männisches Sträuben, die Dame hat recht. Mit einer Ausnahme: Der Schluß vom "Früher für uns" auf das "Früher an sich" stimmt nicht. Mithin gibt es keinen Grund, aus patriarchalischer Enge in matriarchalische Beschränktheit zurückzusinken. Einzig wahr ist der Schritt vorwärts zur vollen Gleichberechtigung. Zwischen den innergöttlichen Relationen gibt es keinerlei Früher und Später, Ursprünglich und Abkünftig, Größer oder Kleiner, nur innerhalb ihrer müssen wir allerdings - sollen unsere Wörter nicht allen Sinn verlieren - an solchen Gegensätzen festhalten.

Um diese vorerst wohl dunkle Unterscheidung zu erläutern, hier eine wahre Geschichte vom Herbst 1987. Aus Anlaß des silbernen Priesterjubiläums sind wir, acht an der Zahl, zu Exerzitien in den Vatikan gekommen. Ein Höhepunkt ist die (deutsche) Frühmesse mit dem Papst in dessen Privatkapelle, außer unserer Gruppe ist noch ein brasilianischer Bischof mit seiner Schweizer Herkunftsfamilie dabei. Er und meine Mitbrüder konzelebrieren, ich darf die Lesung vortragen. Zu meiner Überraschung (präpariert war die Jonasgeschichte) wird das Buch vom Zeremoniär bei Phil 3,7-14 aufgeschlagen. Einem Romanautor könnte man einen solchen Effekt als kitschig ankreiden. Auch das ist Kirche.

Nach der Messe spreche ich den Brasilianer an, stelle mich als Boff-Übersetzer vor und frage, ob auch er die Theologie der Befreiung unterstütze. Aber nein! Ein militanter Wortführer der Gegenseite steht vor mir. Schnell sind wir beim Kern des Konflikts: der Perichorese. Boff betont die Gleichewigkeit der göttlichen Personen. "Trinitarisch ist die 'Ursache'(der Vater) nicht früher als die 'Wirkungen' (Sohn und Heiliger Geist)" (166). Hier, sagt der Bischof, können wir ihm nicht mehr zustimmen. Natürlich ist der Vater irgendwie früher, sonst hat dies Wort keinen Sinn. Die gesamte Tradition ist sich einig, daß der Vater der Urgrund ist, nicht nur ungeworden, sondern ungezeugt. Keineswegs nur aus gesellschaftspolitischen Gründen also, um ihre Macht zu erhalten, sei die konservative Fraktion gegen Boffs These, sondern einfach aus gesunder Theologie. Natürlich habe die auch äußere Auswirkungen: Gott ist der Herr und hat etwas von seiner Autorität an Menschen delegiert. Aber darum gehe es jetzt ja nicht. Ich bin mit dem Bischof einig: hier, an diesem scheinbar weltfremden Punkt trinitarischer Spekulation, scheiden sich derzeit die Geister. Klärende Antwort fällt mir keine ein.

Tags darauf besuche ich einen klugen Dogmatik-Professor und lege ihm die Frage vor. Auch er meint, wenn "Vater" in der Theologie überhaupt einen Sinn haben solle, müsse er irgendwie auch vor dem Sohn gedacht werden, nicht zeitlich, aber doch logisch. Das feministische Problem wischt er scherzhaft beiseite; in seiner ungarischen Muttersprache gebe es nicht "jene indogermanische Kuriosität", daß alle Wörter ein Geschlecht haben müssen. Für sein Volk sei Gott weder männlich noch weiblich noch sächlich, sondern ebenso übergeschlechtlich wie seit jeher für eine gesunde Theologie. - Bekümmert frage ich mich: Ist meine Theologie tatsächlich so ungesund?

Ich glaube, nein. Nicht das Fieberthermometer ist bei 40° krank. Wir sollten unterscheiden: den Gegensatz zwischen den jeweiligen Polen einer Relation (= je zwei gegenüberliegenden Würfelflächen) und den Unterschied zwischen den verschiedenen Relationen (= Würfeldimensionen). Jede Relation hat ihre logische Richtung.

Verbleiben wir (auf gut patriarchalische Weise abstrahierend, aber nicht lügend) allein in der Senkrechten der DU-Religion, dann stimmt die Wahrheit des Bischofs und des Dogmatikers: Der Vater ist logisch vor dem Sohn. Deshalb gibt es auch Autorität und rechtmäßige Herrschaft, kein vernünftiger Befreiungstheologe will das Tohuwabohu des ursprünglichen Chaos. Der Heilige Geist geht vom Vater aus (als Liebe zum Sohn) und auch vom Sohn (als dessen Gegenliebe zurück zum Vater).

Halten wir uns hingegen ( in der Richtung von vorne nach hinten) innerhalb des Eins (afrikanisch, Tao-chinesisch, Zen-japanisch, feministisch oder sonstwie getönt), dann hat die weiblich bergende Huld den Vorrang, während Vater und Kind gemeinsam ihr logisch nachgeordnet sind. Hier gehen Vater und Sohn also vom Heiligen Geist aus. Für die Wahrheit dieses erweiterten Ansatzes spricht, daß er sich im Geschlechterkampf neutral verhält. Jedes Geschlecht ist einmal vorrangig, einmal nachgeordnet und einmal (beim Selbst) unwesentlich. Ist solch wechselseitiger Hervorgang aber nicht unmöglich? Wie kann eine Person einer anderen das Sein geben, von der sie zugleich ausgeht? Bei unbezüglichem Sein wäre das ein Widerspruch, beim Bezogensein kennen sogar wir Geschöpfe solche Reziprozität: Braut und Bräutigam gehen, als solche, auseinander hervor.

Zwischen den drei verschiedenen Relationen hingegen gibt es auch logisch keinerlei Früher oder Später. Zwar beruht ihr Unterschied auf den jeweiligen Gegensätzen einer jeden; dank wechselseitiger Priorität auf den verschiedenen Achsen balanciert das Ganze sich jedoch so wunderbar aus, daß jede Rede von Rang und Wert, Ursprung und Ziel hier schlicht unsinnig wird, wenn sie gegen eine Person sich kehrt. Wahr ist sie für jede. Will frau (oder man) gern die Urmutter als erstes und letztes Prinzip sehen: nichts spricht dagegen, SIE ist es. Zieht ein Materialist die handfeste Realität als erste und letzte Wahrheit vor, warum nicht? Der Christ glaubt Jesus Christus, das Herz der Geschichte, als ersten und letzten (Offb 1,17); als Ziel des bejahenden Urgrundes ist das ewige Bejahtsein, menschlich gesprochen, ja tatsächlich erster Anstoß und letztes Ergebnis des Ja. In diesem Sinn gab der brasilianische Christ Gustavo Corçao sogar Feuerbach recht: Der Mensch ist, was er ißt? Gewiß, mindestens der Christ bei der heiligen Kommunion.

Selbstverwirklicht beim mütterlichen Vater

Chesterton erzählt von dem Abenteurer, der nach langer Fahrt eine seltsame Insel entdeckt und plötzlich merkt, daß er wieder in England ist. So ähnlich komme ich mir vor. Denn der schlichten Gläubigen Glaube enthält immer schon diese Drei-Spannung und mußte dehalb zum Trinitätsdogma führen. Die Perle aller Gleichnisse, die Geschichte der Verlorenen Söhne, zeigt a) den Vater als Herrn des Hofes. Er verhält sich b) bei der Heimkehr des Jüngeren mütterlich und bejaht c) in liebender Identifizierung dessen Ich. Im Rückblick begreift der Sohn, warum der Vater ihn ziehen ließ: Weil nur in der wunderbaren Spannung EINS-DU-ICH das Heil besteht. Am Ende der Erzählung hat der Jüngere diese Stereo-Einheit erreicht, dem Älteren steht (auch in der Kirche!) die Bekehrung zu ihr noch bevor - sonst verliert er auch sein bisher gültiges Du.

Vorschlag eines gerechten »Gloria Patri«

Eins ist das gemeinsame Beten innerhalb einer langbewährten Gemeinschaft. Ein anderes ist das Beten allein oder in vertrautem kleinem Kreis. Jenes braucht feste Formeln, bei diesem dürfen wir abwechseln. Meiner Erfahrung nach stimmt beides: Neue Formulierungen nutzen sich schnell ab und man greift gern auch wieder zu den alten; die gewinnen jedoch dank neuer Facetten stärkere Leuchtkraft.

Ehre sei dem einen GOTT, dem VATER (im Himmel ganz innen), dem KIND (das, wie in Jesus, in jedem Menschenherzen leben will) und der Heiligen ATMUNG (des innergöttlichen und uns mit in sich bergenden WIR), wie es war im Anfang (und seither in allen Generationen des Lebens auf unserer Erde), so auch JETZT (d.h. immer gerade dann, wenn dir dies Wunder deines Seins wieder einmal klarer wird, egal wie glorreich oder schäbig, freudvoll oder entsetzlich die Situation deinem äußeren Menschen vorkommt) und alle Zeit (anderswo sowie später) und in EWIGKEIT (wenn dasselbe, was du jetzt in deiner Isolierzelle singst, in seiner Wahrheit offenbar wird: als lebendiges Teil-Lied des nie mehr verhallenden Großen Festkonzerts). AMEN.


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