Jürgen Kuhlmann

ISLAMISCHES FARBWUNDER JESU

Legende aus Spanien

Der Gegensatz von Farben im selben weißen Sonnenlicht ist ein packendes ökumenisches Gleichnis. Durch die rote Brille scheint Grün finster, und umgekehrt. Viele Menschen, die miteinander zu einer gewaltigen bunten Glaskuppel emporschauen, sehen alle die gleichen objektiven Farben, doch strahlt jedem ein anderes Sonnenfunkeln ins Auge [Fast gleich wirkungsvoll und leichter herstellbar ist die bunte Friedenslampe].:

Am eigenen Himmelsrot zu zweifeln, nur weil der andere schwört, die Sonne leuchte grün, wäre nicht nur dumm sondern - im optischen Gleichnis - auch einsehbar falsch. Beim Glaubensdisput fehlt diese neutrale Einsehbarkeit. Trotzdem darf ein Glaubender keinem anders Gläubigen das Glaubensauge absprechen, soll sich aber auch selbst nicht ausreden lassen, was er - nicht für sich allein sondern um davon Zeugnis zu geben - funkelnd erblickt.

Sowohl in der Bibel als auch im Koran gibt es Hinweise auf die von Gott gewollte Friedensfunktion der Farben. Im Epheserbrief (3,10) wird "Gottes vielbunte Weisheit" gepriesen. Die Übersetzung ist unüblich, aber schöner als "vielfach" oder "mannigfaltig" (was sind Schubladen-Fächer oder Tuchfalten gegen Frühlingsfarben!); richtig ist sie, weil das griechische Wort in einem antiken Text einmal einen Blütenkranz beschreibt. Und in Sure 30,21 kann man lesen: "Zu seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der Erde und die Verschiedenartigkeit eurer Zungen und eurer Farben. Siehe, hierin sind wahrlich Zeichen für alle Welt."

Für Christen wie Muslime gleichermaßen bezaubernd und zudem höchst symbolisch ist die folgende Legende über Jesu Lehrzeit. Sie stammt aus dem muslimischen Andalusien des Mittelalters [Mikel de Epalza, Jesus zwischen Juden, Christen und Muslimen (Frankfurt/M 2002), 184 ff]:

"[Jesu] Mutter besuchte den Lehrer und fragte ihn: 'Lernt mein Sohn etwas?' Der Lehrer sagte zu ihr: 'Dein Sohn weiß mehr als ich. Er ist es, der mich belehrt. Dein Sohn braucht keinen Lehrer. Er ist schon klüger als alle, die ich je kannte. Darum nimm ihn mit.' Seine Mutter ging mit ihm fort, brachte ihn zu einem Färber. Er war der beste Färber, den es zu jener Zeit gab. Maria sagte zu ihm: 'Schau, das ist mein vaterloses Kind. Ich möchte, dass du ihm etwas von deinem Beruf beibringst. Du wirst den Lohn bekommen, den Gott dir geben wird.' Der Färber sagte zu ihr: 'Lass ihn unter meiner Aufsicht und ich lehre ihn den Beruf.' Daraufhin zog Jesus bei dem Färber ein, und er lehrte, was er zu tun habe. Jesus passte bei allem gut auf. Dann ging der Färbermeister wieder in seinen Laden. Sodann machte sich Jesus an die Kessel und Eimer, nahm alle Kleider im Laden und tat sie alle zusammen in die Kessel und Eimer. Das war ein Befehl Gottes, des Allmächtigen. Dann betete Jesus zu Gott - er sei gelobt. Gott erhörte sein Gebet, so dass die Leinenstücke mit der Farbe herauskamen, die sie haben sollten, denn Gott wollte den Leuten dieses Wunder zeigen.

Als der Färber zu dem Hause kam, wo die Kleider waren, fand er kein Gewand vor und schrie los: 'Ach, Leute, kann jemand mir bei diesem Unglück helfen? Ich bin verloren.' Er meinte, ein Räuber habe ihm alles gestohlen, was im Laden war. 'Meister', sagte Jesus, 'schrei nicht! Man hat dir nichts gestohlen.' 'Und wo sind die Kleider der Leute, die hier in den Kesseln und Eimern waren? Ach, welch ein Unglück hast du angestellt? Welch ein Verlust für mich! Die Kleider sollten verschiedene Farben haben, und du hast sie alle gleich gefärbt. 'Nimm den Zipfel von irgendeinem Gewand, welches du willst', sagte Jesus, 'und schau, welche Farbe sein Eigentümer bestellt hat, und du wirst es mit seiner passenden Farbe sehen.' Da nahm der Färbermeister eines der Gewänder und fragte nach seiner Farbe. Jesus tauchte seine gesegnete Hand ein und betete zu Gott, und jedes Kleid kam mit der Farbe heraus, die es haben sollte, mit den schönsten aller Farben. Als der Färber die Kleider herauskommen sah, jedes mit seiner Farbe, rief er aus: 'O gute Leute, ich habe noch keinen größeren Zauberer gesehen als diesen Jungen. So etwas habe ich noch nie gehört.' Als die Leute aus demselben Eimer die Kleider in so viel verschiedenen Farben herauskommen sahen, verständigten sie sich miteinander. 'Gehen wir zum Fluss und waschen sie. Wenn es sich um Hexerei handelt, werden die Farben verschwinden und die Kleider dieselbe Farbe wie vorher haben. Das müssen wir tun.'

Schnell liefen sie mit all den Leinenstücken zum Fluß. Je mehr sie dort aber wuschen, um so strahlender traten die Farben hervor. Voller Staunen sagten sie: 'Wenn wir diesen Hexer und seine Mutter nicht aus der Stadt werfen, werden wir alle mit ihren Hexereien angesteckt und selber Hexer.' Deshalb nahmen sie Jesus und seine Mutter und verwiesen sie aus der Stadt."

*

Als Christ sehe ich im tüchtigen Färberjungen Jesus ein packendes Symbol für Christus, den Schöpfer und Schutz geistlicher Buntheit in allen Glaubensweisen. Was Professor Ratzinger in einer Augustinuspredigt von der Welt der katholischen Heiligen sagte, dürfen wir im heutigen Klima der Großen Ökumene ausweiten auf den Reichtum der menschheitlichen Spiritualitäten. Da "wird gleichsam das einfache, unanschaubare Licht Gottes zerlegt in das Prisma unserer menschlichen Geschichte hinein, so daß wir der ewigen Herrlichkeit und dem Lichte Gottes mitten in unserer menschlichen Welt, in unseren menschlichen Brüdern und Schwestern begegnen können" (Dogma und Verkündigung [München-Freiburg 1973], 421).


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