Pater Wilhelm Klein (1889-1996)

Christus heißt: Gott in Maria

Worte an römische Seminaristen

in den Fünfziger Jahren, ungeordnet (wer sie liest, muss sie eh' in den eigenen Denkhorizont einfügen)

Vorbemerkung: Bis 1961 war Pater Wilhelm Klein SJ (1889-1996) Spiritual, geistlicher Ratgeber im Germanikum, dem deutsch-ungarischen Priesterseminar in Rom. Obwohl er nie eine Zeile veröffentlicht hat, soll Karl Rahner ihn einmal den bedeutendsten lebenden katholischen Theologen genannt haben. "Meine Bücher seid ihr", sagte er zu uns. Später wurde vieles, was er notiert oder jemand mitgeschrieben hatte, trotzdem gedruckt und ist heute auf einer CD les- und bestellbar.

Der Christ, der erlöste Mensch, der in Jesus Christus ist, d.h. in Gott in Maria, wächst im Schoß dieser Mutter, der kyriaké, in seliger Hoffnung der Vollendung seiner Erlösung entgegen und ist der Träger dieser frohen Botschaft in der ganzen gefallenen Schöpfung, die sich nach der Erlösung sehnt und seufzt,

Wer? Wer ist diese Vermittlung in uns geschaffenen Wesen? Gott selbst wird Mensch, Gott im Fleisch, Gott in der Geschichte, in unserer elenden Elendsgeschichte, der Menschensohn, der Sohn des Menschen. Heißt das dein Sohn, mein Sohn? Nein, Sohn des Menschen. Der Sohn Marias, Jesus, Gott in Maria. Der Schöpfer im reinen Geschöpf, im vermittelnden Geschöpf, im glaubenden, liebenden Geschöpf.

Warum, meine Herren, wehren wir uns denn so dagegen, dass das in uns Geschöpfen wirklich geschaffen ist? Wer in uns wehrt sich denn so verzweifelt gegen Gott in Maria, wer kann diesen Namen in uns nicht hören ohne in Furcht und Zittern, zum Tode krank zu sein, wer ist das in uns? Ja, wer denn anders als der Widersacher, der Versucher, der Lügner von Anbeginn, der für seine Herrschaft fürchtet und zittert und Angst hat. Er will diese erste Anzahlung nicht, denn sie allein macht ihn schon ohnmächtig, sola interemisti.

Es wird gar nichts von der Schöpfung durch den Sündenfall im letzten vernichtet. Nec jota unum nec unus apex peribit, kein Jota und kein Strichlein wird vergehen. Gar nichts bleibt in der Verlorenheit und im Sterben, wohin Gott in Maria kommt. Da wird alles neugeschaffen. Da wird das Antlitz der Erde erneuert.

Leider Gottes geht es nicht um bloße Gespenster, die sich aufregen, wenn von Gottes geschaffener Herrlichkeit gesprochen wird, die sich erheben, wenn das Wort Gottes erklingt und zu leuchten beginnt im Anfang, in principio, in dem das Wort war, ab initio et ante saecula, in der einen Schöpfung, die die Herrlichkeit ihres Dreieinigen Schöpfers makellos und unversehrt widerstrahlt in kindlicher dankbarer Liebe, in mütterlichem Herzen, in bräutlicher Hingabe der Braut an den Bräutigam. Die gloria dei creatoris creata, Gott in Maria, der Menschensohn.

Alle Psalmen sind wie die ganze Bibel messianisch, wie wir auf hebräisch sagen, christlich, wie die Griechen sagen, darum marianisch, Christus und Gott in Maria. Sie werden es noch erleben, dass das in der Kirche verständlicher, ja selbstverständlicher wird, als das heute ist. Und zu diesem lebendigen Verständnis des Glaubens, dazu sind wir unterwegs und darum beten wir.

Aber die Marienweihe ist ein ganz besonderer Ausdruck der christlichen Gottesweihe. Als Weihe an das unbefleckte Herz Mariae gestaltet sich diese Weihe immer mehr in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten. Wir gehören Gott im fleischgewordenen Sohn in Maria und wir wollen ihm so gehören. Im Pulsschlag des Herzens der Immaculata selbst vollziehen.

Jetzt könnte ich diese Exhorte noch einmal von vorne vorlesen und alle Punkte und Exhorten wiederholen. Denn ich sage ja immer dasselbe.

Gott ist Liebe, und diese Liebe ist im König der Völker Fleisch geworden, factus ex muliere, factus sub lege peccati, mendacii, mortis, carnis, geworden aus der Frau, unter dem Gesetz der Sünde, der Lüge, des Todes, des Fleisches. Dieser eine, dieser einzelne in allen gentes ist es: der desideratus eorum.

Die Welt wird Ihnen irrsinnig antworten: Sie sind irrsinnig! Sie verstehen uns nicht. Wir verstehen uns gegenseitig nicht. In diesem großen Irrenhaus der Welt, der desideria, lügen wir uns gegenseitig an. Die Wahrheit aber ist: Er ist es, den alle ersehnen und suchen, alle Menschen ohne eine einzige Ausnahme, ob er anfängt mit K wie Kennedy oder Chruschtschow oder sonst einem K, aspiriert oder nicht aspiriert, oder einem M, er sucht und ersehnt Christus, Gott in Maria, den Ersehnten der Völker. Auch wo der Mensch naturaliter scire desiderat, ist er im Unterwegs zu ihm. Wenn er Mensch ist, sucht er Christus. Das ist der Desideratus earum, omnium gentium. Wie ewige Berge stehen die großen Völker mit dem einen Volk in der sogenannten Geschichte. Er aber ist der Desideratus earum, desiderium collium aeternorum, die Sehnsucht der ewigen Hügel.

Und pneuma bedeutet hier den Schöpfer Geist, die Dritte Person der Hl. Dreifaltigkeit und den geschaffenen Geist in uns, die Braut, die Königin der Glaubenszeugen. Würde der Hl. Geist sie nicht in Stephanus und in uns wirken lassen, wären wir auch Tiere. Ohne Maria sind wir keine Glaubenszeugen. Wir setzen ruhig ihren Namen in die Stephanusliturgie. Das dürfen wir. Moses nennt nicht ein einziges Mal den Namen "Jesus von Nazareth". Trotzdem ist jeder Satz, den er schreibt, von ihm: de me enim ille scripsit, über mich hat jener geschrieben. In späterer Zeit schreibt der Geist in der Kirche die Namen ein. Jesus, Gott in Maria. Zu seiner Zeit. Dann wird Santo Stefano zur Kirche der Königin der Märtyrer.

Diese sogenannte Natur- und Sterbeordnung des nasci und mori in der Familie hat der secundum carnem in die Welt Kommende und Sehende immer vor sich in ihrer ganzen letzten Sinnlosigkeit des beständigen Geborenwerdens, um zu sterben.

Aber das ist Abstraktion, secundum carnem. In Wirklichkeit ist in die zerspaltene Adam-Eva-Welt des Widersachers die Gnade des Erlösers eingebrochen in Gott, in Maria. Wenn auch der animalis homo secundum carnem davon gar nichts sieht, wenn er auch seine fleischliche, sinnliche, vernünftige Abstraktion für die Wirklichkeit ausgibt und angibt, weil sie allein gegenständlich vor ihm liegt, so sieht der erlöste Christ secundum spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum, nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung der Toten, die Besiegung und Überwindung und Erlösung und Neuschöpfung dieser in Tod und Verwesung begrabenen, zerspaltenen Welt der Versuchung.

Die vielen Tage und Stunden und Augenblicke unseres Lebens aber will Gott in Maria, will Jesus Christus unser Erlöser in sich zurücksammeln, die vielen Osterfeste und die vielen anderen Feste des Jahres, die vielen Messen in das eine Opfer sammeln, das er selber für uns geworden ist. Denn er ist selber einmal in unsere geschichtliche Vielmaligkeit gekommen, um uns zu sich wieder zu sammeln und aus Kindern des Teufels wieder zu Kindern der einen wahren Mutter zu machen, in der wir als die vielen Brüder des einen Erstgeborenen wieder an Kindesstatt angenommen werden.

Wir suchen ein Buch über Maria. Wir haben die Bibel. Das Christusbuch, das Marienbuch. Aber wir müssen zum Buchsinn gehen, nicht zum Buchstaben, der Buchstabe ist tot und tötend, der Sinn ist Leben, ist Christus, Christus aber der Mariensohn, der in Maria empfangene, geborene, gekreuzigte, gestorbene, begrabene, auferstandene, in den Himmel fahrende, den Geist sendende, erhöhte Gott. Gott in Maria.

Ohne ihn, d.h. im bloßen Buchstaben, im gramma das tötet, ist die Bibel uns weder Christusbuch noch Marienbuch.

Der Sohn ist das ungeschaffene ewige Lob des Schöpfers aus seinem Munde, das Wort des Vaters.

Aber dieses Wort, dieses Lob ist Fleisch geworden und hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen. Dieses geschaffene Wesen des ewigen Lobes Gottes hat Gott in Maria geschaffen. Alles geschaffene Loben Gottes, alle Psalmen sind in ihr zusammengefasst, in ihrem Leben, Beten und Tun und in ihren Preisungen im Magnifikat.

Aber für uns alle, in hac lacrimarum valle, in diesem Tale der Tränen, leuchtet wahres Licht nur auf, wo Jesus, Gott in Maria erscheint, lux vera, quae illuminat omnem hominem, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet.

Jetzt werden die uralten, toten Buchstaben auf einmal lebendig in Gott[,] in Maria, in diesem Großen Zeichen, und dadurch in uns.

Und kein anderes Zeichen gibt es und kann es geben, als das, das Jesus selber ist, Jesus Gott, Gott in Maria, das Zeichen des Menschensohnes, das Zeichen des Jonas. Tod und Auferstehung, Karfreitag als Ostern.

Anders der Name des Schöpfers, anders der Name des Geschöpfes, aber Amen der Name des Schöpfers im Geschöpf, in seinem lieben Geschöpf. Und wir, auch wir das Amen? Wir nehmen teil am Amen, durch Gott in Maria, jetzt noch im Fleische, im Amen unseres armen sterbenden Wortes, Amen. Einst aber im verklärten Wort Amen. Denn nur verklärt erklingt Amen im Ewigen, im Letzten.

Die Person, die die Zeichen tut und die Worte spricht, und im Grunde ist Jesus selbst das Zeichen und Wort, ist hier und heute genau so wahrhaft wirklich wesentlich wie damals am See Genezareth, denn dort ist das geschehen. Was aber im Haupt erfüllt ist, ist es noch keineswegs in den Gliedern, in denen Gott in Maria wächst, im Ringen gegen den Widersacher und Versucher in unserer Welt des Fleisches.

Würden wir das ganz erfassen, dann wäre uns die Betrachtung jedes Satzes des sechsten Kapitels etwas so ungeheuer Aktuelles, persönlich Dringliches, Fesselndes, Interessantes, dass wir sozusagen die ganze Nacht nicht schlafen könnten im Brennen darauf, die Frühe des anderen Tages wieder neu zu heiligen im stets wachsenden Geheimnis des in Maria für uns fleischgewordenen Sohnes Gottes.

Auf den gleichen Weltstraßen wie zum eucharistischen Weltkongress nach München ziehen dieses Jahr die Menschen zu den Olympischen Spielen nach Rom. Jetzt fragen Sie sich ehrlich in der Betrachtung. Würden die meisten nicht in lauter spöttisches Hohngelächter ausbrechen, wenn man ihnen sagte, die Welt sei tot und die Straßen, auf denen sie ziehen, seien Gräberstraßen, die Häuser an den Straßen in Wirklichkeit Gräber und die Sportplätze riesige Leichenfelder, das Fleisch, das man da sieht, totes Fleisch, und überall Verwesungsgeruch? Wenn wir dann weiter sagten: Wenn aber irgendwo in der Welt wirklich doch Leben ist und nicht Tod, ist es nur einzig und allein durch Jesus von Nazareth, durch Gott in Maria? Fragen Sie mal ehrlich sich und die Menschen, was für eine Antwort kommt, aus Ihnen und den anderen?

Jesus sagt, er ist gekommen, dass die Menschen Leben haben, ut vitam habeant, et abundanter habeant, und in Fülle haben. Es ist klar: Wenn die Menschen ohne Jesus das Leben haben, auch nur etwas Leben haben ohne Jesus, auch nur ein Prozent, dann ist Jesus umsonst gekommen. Dann ist die Menschwerdung Gottes mindestens überflüssig. Es geht ja auch ohne das fleischgewordene ewige Wort. Bloß um zum Leben der Welt und des Menschen noch was hinzusetzen! Aber dafür lohnte sich nicht, dass der unendliche Gott Mensch wurde, dass der ewige Vater seinen Eingeborenen Sohn in den Tod dahingab. Wofür? Für was? Die Welt und die Menschen hatten ihr Leben.

Der Mensch ist in Ketten geboren, in Satansketten, und wäre er immer am Schreien: Ich bin frei! Das ist nicht die Wahrheit, sagt Jesus. Das ist Lüge. Lug und Trug. Das versichert uns die Ewige Wahrheit selbst, der Menschensohn, Gott in Maria. Also: allegorisch, bildlich ist der Mensch frei ohne Christus; zeichenhaft, und wer an diesen Wortzeichen hängen bleibt, an der logischen Freiheit, für den ist das Wahrheit, aber das ist Christus gegenüber erst bloße Unterwegswahrheit, zunächst Lügenwahrheit, Allegorie des Widersachers.

Ohne Christus, ohne Gott in Maria, sind wir nicht aus Gott, sondern aus dem Teufel.

Im Dezember 2008 von einem damaligen Hörer weitergereicht


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