Jürgen Kuhlmann

Ein Heilsweg in vielen Etappen

Friedensvorschlag im Konflikt
des Zentralkomitees der deutschen Bischöfe
mit der Bischofskonferenz

Vorbemerkung:
Dies ist die erweiterte Fassung eines Artikels, der am 23. April 2009 in der "Nürnberger Zeitung" erschienen ist. Eine bekannte christliche Zeitschrift hat den Abdruck mit einer Begründung abgelehnt, die traurig stimmt: darüber, was alles man derzeit bei Lesern nicht voraussetzen darf:
"Insgesamt ist der Text zu theologisch-insiderisch. Sie setzen zum Beispiel die Kenntnis des Gleichnisses vom verlorenen Sohn einfach voraus, was nicht geht. Die Übertragung der Brautmystik – schon in sich ein heute schwieriges, weil altmodisches Bild – auf den Islam findet mein Kollege und Islamkenner unpassend. Der Satz "Juden agieren heute …“ wird überhaupt nicht verstanden von den Kollegen. Der Bezug zu "My Fair Lady“ setzt Kenntnis des Musicals voraus. Der Schluss bleibt uns unverständlich."
Inzwischen hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz mitgeteilt (FAZ v. 6. Mai, S. 4), "die Erklärung stoße bei den Bischöfen auf Ablehnung, da sie dem Christusbekenntnis der Kirche in seiner Fülle nicht gerecht werde und die Sendung der Kirche verkürzt darstelle."
Ich kann mir nicht helfen, aber mir leuchtet mein Friedensvorschlag ein, auch sehe ich keinen anderen. Videant consules.
6. Mai 2009
Jürgen Kuhlmann

Weil der Bischof von Regensburg mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken streitet. wie das Verhältnis von Christen und Juden zu verstehen sei, könnte sich endlich ein Missverständnis lösen, das auch viele andere Beziehungen von Menschen unterschiedlichen Glaubens vergiftet. Denn Hirtenamt und Laiengremium werden sich bei diesem grundlegenden Thema nur durch die Überwindung jenes Missverständnisses einigen können. Sogleich klärt sich aber auch das Verhältnis der Christen zu weiteren anders gläubigen Menschen um sie her. Was ihnen heilig ist, dürfen wir von unserer Mitte aus achten, ja lieben! Dazu macht reifer Glaube, der die entscheidende Dimension erblickt hat, fähig und bereit.

Das Zentralkomitee behauptet, »dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk einen Heilsweg zu Gott darstellt - auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne das Sakrament der Taufe.« Dagegen betont Bischof Müller, »dass man nicht von zwei Heilswegen, einem für die Juden und einem für die Christen, sprechen kann«.

Unter der Überschrift »Gott ist kein Bigamist« tritt der katholische Philosoph Robert Spaemann in der F.A.Z. vom 20. April dem Bischof zur Seite. Er sieht, wie schon Jesus selbst in seinem schönsten Gleichnis, im Judentum den älteren Bruder, der »ein Problem hat, weil der Vater zur Rückkehr des verlorenen Sohnes ein Festmahl veranstaltet. Trotz dringlicher Bitten des Vaters will er nicht daran teilnehmen. Das Festmahl ist aber erst wirklich gelungen, wenn er daran teilnimmt. Wenn der wiedergekehrte verlorene Sohn ihm sagen würde: 'Du kannst ruhig bleiben, wo du bist, das Fest ist auch ohne dich ganz schön', dann hätte ihn der Vater wohl nicht wieder aufgenommen. Der Gedanke, das Problem durch die Gründung einer zweiten Familie zu lösen, hat mit dem Neuen Testament nichts zu tun. Das Bundesvolk wird im Alten Testament auch als Braut dargestellt und Gott als eifersüchtiger Bräutigam. Die Braut soll nicht fremdgehen. Aber auch Gott ist kein Bigamist, dem es genügt, wenn die beiden Familien 'im Gespräch sind'.« - »Aber er ist auch kein Ehebrecher, der seine Frau wegjagt und sich eine neue nimmt,« wirft Leserin R.C. am 24. April ein. Auf einmal steht die Rede vom »Neuen Bund« im Zwielicht.

Man mag den Zusammenprall solcher Widersprüche als Lärm empfinden und dem dadurch entgehen wollen, dass man sich an die eine Seite hält und die andere für sich ausschaltet. Dadurch wird die Sache scheinbar klar und man kann munter streiten, in Fragen wie dieser hier auch Jahrhunderte lang.

Man kann aber auch anderes erleben. Mir geht es so, dass ich jedem vorgebrachten Anliegen von Herzen zustimme. Sie drücken alle meinen katholischen Glauben aus – außer wenn der Bischof verurteilt, die judenfreundliche These des Zentralkomitees dürfe keinesfalls »als authentische Darstellung des katholischen Glaubens« gelten. Dem widerspreche ich. Warum? Weil niemand alles sagen kann.

Die Missverständnisse lösen sich, sobald wir anerkennen: Glaubenswahrheit ist nicht nach dem Muster eindeutiger Wissenschaft aufzufassen, sondern dramatisch. Es gibt für Juden und Christen – und dazu Muslime, Humanisten (gottlos oder nicht) und Bahais – tatsächlich nur unsere eine gemeinsame Heilsgeschichte, keineswegs fallen (das ist des Bischofs Wahrheit) viele verschiedene Geschichten zusammenhanglos auseinander. Aber – glaube ich mit dem ZdK – diese eine Große Liebesgeschichte umfasst – wie unsre kleinen ja auch – viele zueinander gegensätzliche Etappen. Die werden auf der Weltbühne äußerlich zwar zugleich gespielt: für die Medien und jeden, der bloß zuschaut. Beteiligte erfahren aber (stellen wir uns eine Drehbühne mit vielen Sektoren vor) je in ihrer besonderen dramatischen Zeit die aktuelle Wahrheit eines bestimmten Aktes.

Juden agieren heute wie seit Jahrtausenden als Tochter Zion den intimen Beginn des Liebesdramas Gottes mit seiner Braut Menschheit. Wäre Robert Spaemann dabei gewesen, als eine deutsche Gruppe im Februar 2008 bei einer Sabbat-Vorabendfeier im Kibbuz »Tochter Zion« anstimmte und ein altes jüdisches Ehepaar ergriffen mitsang, hätte er am gemeinsamen Festmahl nicht gezweifelt. Nur seinen Hass muss der Ältere aufgeben, keinesfalls den Stolz des Erstgeborenen!

Christen repräsentieren Gottes Braut am Hochzeitstag. »Christus ist das JA für alle Verheißungen Gottes« (2 Kor 1,20), in Maria hat die einzige Braut das Ja der Menschheit zum ewigen Bund ausdrücklich gesprochen. Unter dem Namen Kirche soll die Braut von Pfingsten bis zum Weltende eben dieses eine, als Jesus Fleisch gewordene Ja vor aller Welt glaubhaft darstellen.

Hätte die reale Kirche das getan, so hätte dieser Akt – in zahlreichen Szenen – schon der letzte sein können. Sie hat es nicht getan. Der Islam entstand unter anderem als Reaktion arabischer Stämme auf das byzantinische Staatskirchentum, das mit dem Menschensohn wenig im Sinn, am Allherrscher Christus aber, dem goldschwer gekrönten himmlischen Garanten des Kaisers, verständliches Interesse hatte. Warum soll der menschenfreundliche Gott nicht die unchristliche Kirche gedemütigt und außerhalb ihrer Mohammed zu seinem Propheten berufen haben? Dagegen steht kein christliches Dogma. Seitdem erinnert die Braut als demütige Fatima alle an den wahren Jesus von Mk 10,18 ("Was nennst du mich gut, keiner ist gut als Gott allein"). In der Kirche ist er verstummt; schon bei Matthäus (19,17): "Was fragst du mich nach dem Guten?"

Nicht die Braut allein hat versagt. Im Namen Gottes haben seine Vertreter der menschlichen Seele Unerträgliches zugemutet. Deshalb stellen in einem weiteren Akt des Dramas die gegen den allmächtigen Vampir protestierenden Gottlosen die Braut als Eliza in »My Fair Lady« dar, wenn sie dem Professor, der sie so erniedrigt, vor Wut die Pantoffeln ins Gesicht wirft.

Die jüngste Weltreligion der trotz schlimmer Verfolgung so friedlichen Bahais repräsentiert Gottes Braut als Gattin, die im Fotoalbum die Bilder früherer Etappen anschaut und sich freut, wie deren Widersprüche in Wahrheit dramatische Gegensätze sind, dank denen wir alle den Sinnreichtum unseres Dramas ahnen können.

Kurz: Jeder Glaube lebt irgendeine Etappe der einen Braut Gottes – und soll lernen, die fremden zu achten, obwohl er sie nicht begreift. Zuletzt, beim Beifall an der Rampe und dem Fest im Saal, wird alles klar.

[Google findet bei "3-923733-26-7" mein Buch zu diesem Thema.]


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