Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

Zirkel über Linkskatholizismus

[aus dem vorkonziliaren Germanikum]


Unser kleiner Zirkel (6 Teilnehmer) hatte sich vorgenommen, etwas in den Fragenkreis einzudringen, welchen, freilich recht ungenau, dieses Schlagwort umschreibt. Wir lasen also in Mußestunden verschiedene "linke" Autoren; hatte einer sein Referat vorbereitet, dann wurde Versammlung gehalten. Ergebnisse:

1. Eine gewisse Vertrautheit mit vielen aktuellen Fragen.

2. Die Einsicht, daß von links zwar manches Gift, und viel Blech kommt (wie ja von anderswo auch), daß wir aber nicht darum das Gold wegwerfen dürfen, das dort angeboten wird (1 Thess 5,21!).

3. Die befreiende Erkenntnis, daß der Gegensatz links-rechts wohl wichtig, aber für Christen doch letztlich nicht mehr da ist. Das aufzuzeigen, sei ein bescheidener Vorschlag zur Behebung der eigentlichen, der terminologischen Schwierigkeit, in Kürze dargelegt.

Die These ist die: Die Fragen, welche zwischen rechts und links verhandelt werden, können mittels der Begriffe irgendeiner Philosophie nicht richtig gestellt noch gelöst werden; wohl aber mit theologischen Begriffen besonderer Art: Bestimmte Sinn-Schichten in uns sowie bestimmte konkrete, von uns zu entscheidende Situationen sind nämlich Antitypen, und darum begrifflich nur zu erfassen als heutige, analoge Verwirklichungen derselben Verständlichkeitsgehalte, die Gott in ihren Typen, das heißt bestimmten Ereignissen der Heilsgeschichte, mit der unfehlbaren Sicherheit seiner Offenbarung für uns niedergelegt hat.

Hier für uns wichtig sind folgende Geschehnisse: Noe-Bund, Sinai-Bund, Menschwerdung, Wiederkunft Christi.

Der Noe-Bund mit der ganzen Menschheit bedeutet als Kategorie das in den Christen, worin sie mit allen übereinkommen. Für die in dieser Schicht sich erhebenden "menschlichen" Fragen (von Tischsitten bis zur Staatsverfassung) sind darum Entscheidungsmittel: Vernunftüberlegung, Gespräch, Kompromiß, zur Not Kampf.

Das Jüdische bedeutet als Kategorie fürs neue Israel, die Kirche, und all ihre Glieder, das, wozu Gott sie im neuen Bund erwählt und ausgesondert hat. Was dagegen steht, ist "heidnisch". Entscheidungsmittel sind: Weisung der Hierarchie (Königsamt), Schöpfen aus der Tradition (atl. Priesteramt) sowie der Ruf des von Gott selbst gesandten Propheten. Die Möglichkeiten ihrer mannigfaltigen Konflikte siehe im AT!

Wie jedoch sind die Fragen zu lösen, wo menschliche Rechte und Pflichten gegen den jüdischen Auftrag gehen (Ketzerbehandlung usw.)?

Christus hat (Eph 2,14) die Wand zwischen Juden und Heiden grundsätzlich niedergerissen; wie langsam dies aber im einzelnen der Kirche bewußt wird, zeigen, typisch, die judaistischen Streitigkeiten der Urgemeinde, und antitypisch die Kirchengeschichte.

Bei Christi Wiederkunft ist die Versöhnung vollkommen. Bis dahin aber haben die "Rechten" zu sorgen, daß die Entwicklung sich nicht übereile, auf daß nicht etwa Jüdisch-Notwendiges von Heidnisch-Schlechtem gefährdet werde; daß dagegen Heidnisch-Gutes nicht zu lange zugunsten Jüdisch-nicht-Notwendigem ausgeschlossen bleibe: darauf müssen die ''Linken'' achten.

Im Einzelfall kann naturgemäß weder bloß-menschliche Überlegung noch bloß-jüdische amtliche Festsetzung allein entscheiden, sondern helfen kann nur der Herr der Geschichte und der beiden Versöhner selbst. Er kann auch beiden im innersten Gewissen Verschiedenes befehlen, um so durch ihr Kreuz hindurch der Welt Versöhnung mit Sich zu befördern. Ein eigentlich Exkommunizierter wäre freilich ein Lügenprophet; denn jeder Kampf innerhalb des Gottesvolkes muß übergriffen sein von der tiefen Liebeseinheit des Leibes Christi, dessen rechte wie linke Glieder einander als Christen aufrichtig gelten lassen müssen, wie immer sie sonst zueinander stehen, vielleicht von Gott her stehen müssen.

April 1961


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