Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


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Crucifixus etiam pro nobis
sub Pontio Pilato passus et sepultus est
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus
hat gelitten und ist begraben worden

Für uns: Durch seinen blutigen Tod hat Jesus Christus uns erlöst, so glauben, bekennen, singen die Christen von Anfang an bis heute. Was haben sie sich bei diesen Worten gedacht? Sehr Verschiedenes, je nachdem, was in ihrer Umgebung als selbstverständlich galt. Wo in den Tempeln der Antike noch, um Gott oder Götter zu versöhnen, das Blut der Opfertiere floß, da bot dieser Denkrahmen sich an; so lesen wir im Hebräerbrief, daß Christus "nicht kraft Blutes von Böcken und Kälbern, sondern kraft des eigenen Blutes ein für allemal in das Heiligtum eingegangen ist und so unendliche Erlösung gewonnen hat" (9,12). Uns ist solche Erfahrung fremd; eben durch das Christentum ist der blutige Opferkult abgeschafft worden, da sollen wir natürlich nicht deshalb zu dieser Vorstellung zurück, weil sie früher einmal das äußere Gedankenkleid des neuen Glaubens war, der sie überwunden hat! Jener Gott, den man mit Blut versöhnen muß: Er ist von Jesus als eingebildeter Teufelsvampir durchschaut worden, als Wahn einer Angstreligion, als unwirklicher Götze. Diesen Kern von Jesu Erlösungstat wollen wir nicht - durch ihr blutfixiertes Mißverständnis - wieder verlieren!

Später hat Anselm von Canterbury (+ 1109) die Erlösung neu verstanden, diesmal im Denkrahmen germanischer Ehrbegriffe. Durch die Sünde ist Gott unendlich beleidigt worden, nie könnten wir Menschen diese Beleidigung gutmachen; denn wir schulden Gott sowieso alles, jede Fiber unseres Herzens in jedem Moment. Zudem sind wir arme endliche Wesen, der Beleidigte aber ist von unendlicher Würde, über diesen Graben führt kein Sprung. Wollte Gott uns die Sünde ohne Genugtuung einfach verzeihen, "dann käme es in dem All, das Gott ordnen muß, wegen der verletzten Schönheit der Ordnung zu einer Häßlichkeit," [Cur Deus Homo I,15] die weder Gottes noch unserer Ehre entspräche. Doch Gottes erfinderische Liebe fand den Ausweg: Sein eigener Sohn wurde einer von uns und hat in unserem Namen die Genugtuung vollbracht. Weil Jesus Gott ist, hat seine Genugtuung unendlichen Wert, gleicht die Kränkung der Sünde voll aus. Jesus ist aber auch Mensch, deshalb ist solcher Ausgleich eigene Tat der Menschheit, wir können (in Christus) Gott wieder ehrenvoll ins Auge schauen.

Das ist ein wunderbar tiefer Gedanke von unvergänglicher Wahrheit; doch stimmt er allein innerhalb des feinen, überaus verletzlichen Zusammenhangs der echten Ehre, die mit Liebe und Vertrauen untrennbar verbunden ist. Oft wird Ehre aber bloß formal-äußerlich aufgefaßt; dann erscheint einem groben Sinn - statt des großzügigen, auf unsere Würde bedachten Gottes, wie der heilige Anselm ihn sah - jenes giftige Gottesbild, die Fratze des Tyrannen, der seinen Spaß daran hat, sein selbstgesetztes Herrenrecht bis zum letzten Blutstropfen einzufordern. Unsere Zivilisation ist von der in Ehrendingen so feinfühligen Ritterzeit weit entfernt, Wörter wie Beleidigung und Satisfaktion prägen sie nicht zentral. Anselm hat zwar recht: Der Mensch wird die Genugtuung, die er Gott schuldet, "entweder leisten wollen oder nicht. Wenn er will, aber nicht kann, ist er arm dran. Will er aber nicht, ist er ungerecht. Ob arm dran oder ungerecht: selig wird er nicht sein." [Cur Deus Homo I,24] Dem werden die meisten nicht widersprechen, es läßt sie aber eher kalt. Ist Gott uns vielleicht zu groß geworden, hat er sich zu weit ins Geheimnis zurückgezogen, als daß wir ihm mit Ehre und Genugtuung kommen wollten? Mag sein. Jedenfalls muß Christi Erlösungstat am Kreuz von der Kirche heute anders begriffen und verkündigt werden als vor neunhundert Jahren.

Fragen wir schlicht: warum ist Jesus gestorben? Eine Antwort liegt auf der Hand: Weil er treu zu den letzten Menschen gehalten hat. Die Allerverachtetsten von damals: Zöllner, Huren, hergelaufene Samariter, sie hat er als gleichwertig angesehen und deshalb die Schubladenspiele der tonangebenden Kreise gestört. "Reich Gottes", das hieß in Jesu Sprache: Heil und Würde für alle. Solche Botschaft paßte denen nicht, die sich deshalb über den menschlichen Sumpf erhoben fühlten, weil sie die übrigen noch tiefer in ihn hineintraten. Darum haben sie die lautere Stimme des Ganzen abgewürgt. Jesus hat seine Botschaft höher geschätzt als sein Leben und ist für sie gestorben, ähnlich wie es - in seiner Nachfolge - zu unserer Zeit Martin Luther King, Bischof Oscar Romero und Tausende nicht so berühmter Christen getan haben. Ihr kostbares Blut hat erlösende Kraft. Wer ihr Sterben bedenkt, dem stärkt sich der Glaube an ihre Heilsbotschaft: "Martyrer" heißt wörtlich "Zeuge". Indem die herrschende Realität ihren unschuldigen Ankläger mordet, entlarvt sie ihre offiziellen Werte als verlogen, die Maske des Üblichen fällt ab und es zeigt sich das ebenso selbstverständliche wie revolutionäre Licht aus der Tiefe: Selig ihr Letzten; denn ihr seid nicht weniger als die scheinbar Ersten. Gottes Liebe, wie Gottes Sonne, leuchtet allen gleich, laßt euch nicht betrügen, sondern kämpft um euer Recht - nicht so allerdings, daß ihr den Spieß bloß umdreht und jetzt die anderen niedertretet, das würde insgesamt nichts bessern. Sondern tut das Eure, den Sumpf des Unrechts auszutrocknen, damit auf fester Erde alle Kinder Gottes in Freiheit und Einigkeit miteinander leben können.

Was also ist das Kreuz? Den Ungläubigen nur ein sinnloser Galgen neben zahllosen anderen. Andersgläubigen ein verwirrendes Fragezeichen. Das ist es auch für Christen immer wieder. Denn die Frage nach dem Sinn des Ganzen läßt sich nicht irgendwann einmal "lösen" und dann ist sie abgehakt, erledigt. Sie wacht, im Gegenteil, jeden Morgen neu mit uns auf, nur aktuell lebendigem Glauben wird die erlösende Antwort geschenkt. Jesus ist der Sinn der Welt in Person; weil er für die Würde von uns Menschen eintritt, so bis zum Letzten wie wir es am Kreuz sehen, deshalb sollen wir trotz aller Grausamkeit des Daseins - um uns an uns durch uns - an der ernsten Liebe des Ganzen zu jedem von uns nicht zweifeln. Sie will auch die Leidensstunden der Milliarden Namenloser von innen her erlösen. Jesus der Gekreuzigte ist gerade nicht der Einzige, er weiß sein Leid als einen Tropfen im Ozean aus Tränen und Blut, der die Geschichte des Lebens ausmacht. "Seht, das ist der Mensch," sagt Pilatus in der Johannespassion. Jeder Mensch wird, immer wieder und zuletzt endgültig, an sein Kreuz geheftet. Selig, wer dann glauben kann, erschrocken doch vertrauensvoll, welch hohen Preis der Schöpfer für uns hingegeben hat, wie wertvoll jeder Leidende in Gottes Augen ist. Auch in den unseren?

Für den Glauben ist Jesu Kreuzigung zugleich schon seine Verherrlichung: "Vater, die Stunde ist da, verherrliche Deinen Sohn" (Joh 17,1)! Deshalb sollte zwischen sepultus und resurrexit möglichst keine Pause sein!

Et resurrexit tertia die secundum scripturas
ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift

Historie: Was vor Jesu Geburt und was nach seinem Tode geschah, weiß die Wissenschaft nicht, und auch nicht der Christ, sofern er ein Wissender ist. Der Glaube an die Geburt aus der Jungfrau besteht unabhängig davon, ob Jesus tatsächlich einen irdischen Vater hatte. Ebenso steht es um das leere Grab. Einerseits wäre selbst seine Tatsächlichkeit kein direkter Beweis der Auferstehung. Anderseits gibt es Christen, für deren Glauben irdische Wunder gegen die Naturgesetze eine schwere Belastung sind, weil sie Gott nicht für einen verspielten, sondern einen ernsthaften Schöpfer halten. Daß die Atome eines Leichnams aber plötzlich aus diesem Kosmos verschwinden, hinüber in ein Dasein jenseits von Zeit und Raum, das ist zweifellos gegen die Gesetze der Natur, die wir kennen. Selbstverständlich ist wiederum auch ein solches Wunder nicht unmöglich. Wer durch sein "es werde!" ein All schaffen kann, vermag - um eines herrlichen Zeichens der all-entscheidenden Auferstehung willen - gewiß auch den Leib seines getreuen Zeugen vor der Verwesung zu retten. Nicht ob er es kann, ist die Frage, nur ob Er es tat. Wie bei der Jungfrauengeburt bekenne ich auch hier: Ich weiß es nicht und bin im Glauben gewiß, daß es auf die empirische Realität nicht ankommt. Das fortdauernde Grab würde die Radikalität der Menschwerdung unterstreichen, das Wunder des leeren Grabes den Ostertriumph bezeichnen. An beides glauben wir Christen unabhängig davon, wie es tatsächlich war; mithin bietet gerade die Doppeldeutigkeit des Faktums unserem doppeldeutlichen Glauben die passendste Basis. Würde eines Tages Jesu Skelett gefunden und zweifelsfrei identifiziert oder aber des Grabes Leerheit wissenschaftlich bewiesen, so wäre jedesmal die Balance von Wissen und Glauben ungut verrutscht.

Sinn: Wie alt war Jesus bei der Auferstehung? Zwischen dreißig und vierzig, meinen die meisten, so alt, wie er eben wurde. So gerät man jedoch in eine Zwickmühle: Entweder bleibt der Auferstandene die ganze Ewigkeit hindurch gerade so alt. Oder aber Christus altert im Himmel weiter. Beide Ideen sind gleich unsinnig, die Herrschaft der Zeit ist mit dem Tode aus. Wie alt ist aber dann der österliche Christus?

Vernünftig scheint mir nur die eine Antwort: Im Himmel hat Christus jedes Alter, das Jesus irgendwann hatte. Bei der Auferstehung erstarrt nicht der letzte irdische Moment, läuft auch die irdische Zeit nicht weiter. Sondern unser Sein bei Gott verewigt das ganze irdische Leben, jeden Augenblick, Nu für Nu, z.B. auch diese Sekunde jetzt, X Uhr Y und Z Sekunden, die eben aus dem Nichts geschaffen wird und sofort verschwindet. Wohin? Zurück ins Nichts? Nein, bekennt der Osterglaube: in die unvergängliche Ewigkeit. Wie das geschieht, wissen wir nicht, "kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben" (1 Kor 2,9); daß aber alle Momente unseres Lebens in Gott versammelt werden, dessen macht der Glaube uns gewiß. Denn wir sollen auferstehen, wir sind aber nichts anderes als die Summe all der Gestalten, die wir einmal geworden sein werden, vom Mutterschoß bis zum Sterben.

Nach der Schrift: Vgl. Apg 2,24 ff; 13,34 ff. Im Osterlicht verstanden die Jünger manche Aussagen ihrer jüdischen Bibel in neuem, tieferem Licht, so daß sie sich auf Jesus den Lebendigen bezogen.


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