Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

Um ein neues Priesterbild

Überlegungen zum Selbstverständnis des Priesters in der weltlichen Gesellschaft


Als eines der jüngsten Fremdworte bürgert sich derzeit der soziologische Begriff "Image" in unserer Umgangssprache ein. Raucher einer bestimmten Zigarettenmarke, Politiker im Wahlkampf, Berufe: sie alle haben ihr Image, jenes "Bild", welches - nach Ansicht dieser oder jener Kreise - die Öffentlichkeit sich von ihnen macht.

Im folgenden nun soll es uns um das "Image" des Priesters gehen. Es befindet sich zur Zeit in einer Wandlung, um nicht zu sagen in einer Krise. Schon eine kleine Statistik zur Überalterung (aus dem Jahre 1955) mag uns zu denken geben [Entnommen aus: Greinacher - Risse: Bilanz des deutschen Katholizismus, Mainz 1966, S.73]:

Anteil in Prozent bei

Altersgruppen den Weltpriestern der männlichen Gesamtbevölkerung

25 bis 40 ///////////////// 16,0 //////////////////// 32,0

40 bis 65 ///////////////// 60,1 //////////////////// 52,7

65 und ältere ////// 23,9 //////////////////// 15,3

Summe: //////////////////// 100,0 //////////////////// 100,0

Woran liegt es, daß die Hochschätzung des Priesterberufes in der jüngeren Generation so auffallend zurückgegangen ist? Warum verschlimmert sich der Priestermangel von Jahr zu Jahr? Liegt es nicht auch daran, daß der Priester seines Ortes in Gesellschaft und Kirche nicht mehr so sicher ist wie ehedem? Den Bischof hat das Konzil erheblich aufgewertet, den Laien nicht minder - was hat es aber für den Priester getan? Es wäre verhängnisvoll, meint mit Recht Josef Pascher, "wenn das Presbyterium zwischen Bischof und Laien sozusagen theologisch aufgerieben würde" [J. Pascher, Die Behörde zwischen Hirt und Herde, in: Anzeiger für die kath. Geistlichkeit 75/1966, S. 414].

I.

Die heutige Lage des Weltpriesters

1. Die Tatsache

Verbinden wir drei kurze Zitate zu einem neuen Zusammenhang: "Der Klerus, als Vertreter der Kirche, war zu Beginn des Mittelalters allein im Besitz der höheren religiösen, sittlichen, geistigen und allgemein kulturellen Kräfte (Verwaltung, Technik), aus denen sich das mittelalterliche Leben aufbaut" [Josef Lortz, Geschichte der Kirche, S. 99 Anm. 2].

"Dem wissenschaftlichen Fachmann ist in unserer wissenschaftlichen Zivilisation die strukturtragende Rolle zugewiesen" [Deutschland 1975, hrsg. v. Ulrich Lohmar, München 1965, S. 111].

"Die Diener der Kirche, ja manchmal auch die Gläubigen, fühlen sich in dieser Welt ihr fast fremd und suchen ängstlich, mit welchen geeigneten Mitteln und Worten sie sich ihr mitteilen könnten. Denn die neuen Hindernisse gegen den Glauben, die scheinbare Fruchtlosigkeit der getanen Arbeit sowie die erfahrene bittere Einsamkeit bringen sie in Gefahr, den Mut zu verlieren" [Vatikanum II, Priesterdekret Nr. 22].

Der dritte Satz beschreibt das notwendige Ergebnis der Entwicklung, die vom ersten zum zweiten führt. Ehedem war die Priesterschaft als soziale Gruppe bei dem, "worauf es ankam", führend, heute ist sie das bestenfalls noch beim Wiesenfestumzug, im übrigen marschiert sie hinterher nein, schlimmer: sie ist überhaupt nicht dabei [Ergebnis einer Umfrage bei Wiener Unterprimanern: Der Priester wird "von der überwiegenden Zahl der Schüler als ein vollständiger Außenseiter der menschlichen Gesellschaft angesehen ... Dieses Bild vom Priester ist nicht mehr das Bild eines Menschen. Priester zu sein heißt, nicht mehr Mensch unter Menschen zu sein. Der Priester ist in eine andere Welt entrückt" (Greinacher - Risse, Bilanz des deutschen Katholizismus, Mainz 1966, S. 78).].

Das ist die vielfach erfahrene, unleugbare Tatsache. Wie sollen wir sie werten, in welcher Richtung die Lage zu ändern suchen? Darüber muß die Kirche, wie es scheint, noch ernster und kühner nachdenken, als sie es schon tut. Was die folgenden Überlegungen angeht, so ist klar, daß sie keinerlei Autorität beanspruchen außer der eines frei geäußerten Gesprächsbeitrages. Trotz der apodiktischen (weil kurzen) Form wollen sie "Stachel zur Frage (sein). Sollte jemand solche Sätze als befriedigende Antwort empfinden - um so besser" [K. Rahner, Über die evangelischen Räte, GuL 37 (1964) 21].

2. Soziologische Erläuterung dieser Tatsache

Der Priester ist aus den Menschen genommen und für die Menschen bestellt in ihren Anliegen bei Gott (Heb 5,1). Daß in solcher Erwählung ein soziologisches Problem beschlossen liegt, konnte in einer durch und durch mit Religion getränkten Welt lange verborgen bleiben: der Gottesdienst gehörte, als feierliche Krone des Ganzen allseits anerkannt, mit zum Leben der Welt.

In unserer nachreligiösen Zeit ist das anders geworden. Gewiß, man ist (oder wird - im Osten - hoffentlich wieder) human genug, den Christen alle Freiheiten zu lassen. Wie jede andere Gruppe dürfen sie sich so viele hauptamtliche Hilfskräfte freistellen, wie sie zu unterhalten vermögen. All das aber - die zähen juristischen Regelungen von vorgestern ändern nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit - spielt sich mehr und mehr im privaten Bereich ab. Der Priester ist Funktionär nicht mehr der Gesamtgesellschaft, sondern einer bestimmten Gruppe, vergleichbar etwa einem Gewerkschaftssekretär. Allerdings kann dessen Tätigkeit, wenngleich im einzelnen nicht von allen gern gesehen, doch von der Gesamtheit gewürdigt und als nützlicher Beitrag zum Gemeinwohl anerkannt werden. Abgeschwächt gilt das sogar von den Beatles. Selbst wer ihren Beitrag zum Gemeinwohl persönlich verabscheut, kann doch mindestens abstrakt einsehen, daß andere anders fühlen: er kann ihre Arbeit zwar nicht wert-, aber doch einschätzen. Diese Unterworfenheit unter das Urteil der Allgemeinheit aber, zusammen mit positiver Unterstützung seitens einer Gruppe, sichert einem Beruf seine Stellung innerhalb der Gesellschaft.

Der Priesterberuf steht heute außerhalb der Gesellschaft. Selbst wenn die Allgemeinheit den Priester unter seiner Last zusammenbrechen sähe, wäre sie doch nicht von der Meinung abzubringen, daß er "im Grunde" nichts tut. Da sie mit "im Grunde" das Gegenteil meint, nämlich: "an der Oberfläche, wo sich sichtlich etwas rührt, wo die Welt greifbar umgestaltet wird" - ist ihr Urteil nicht einmal falsch. In diesem Grunde tut der Priester als solcher tatsächlich nichts. Was tut er denn? Er erzählt Kindern uralte Geschichten, bietet Verzweifelnden eine Lösung an, die keine ist, nämlich "Gott", vertut seine und anderer Leute Zeit mit dem, was er Liturgie nennt, wandelt bequem murmelnd auf sonnigen Gartenwegen einher, während andere Leute im Büro oder in der Werkstatt produktiv schwitzen. Nein, der Priester als solcher baut nicht mit an der irdischen Stadt: er tut nichts.

Dieser extreme Ansatz muß natürlich sofort verfeinert werden. "Der Priester als solcher" ist eine Abstraktion, und zwar eine logisch sehr eigenartige. Wenn der Priester einem Beichtenden ins Gewissen redet, minder leichtsinnig zu fahren, und so einen schweren Unfall verhindert, tut er das "als solcher"? Nein, sondern er teilt diese Funktion mit dem Polizisten, in dessen Berufsbereich sie fällt. Der Priester müht sich um den Bau eines Kindergartens: tut er es als solcher? Nein, sondern das käme an sich dem Stadtrat zu. Der Priester nimmt sich eines verwahrlosten Burschen an; als solcher? Nein, sondern er tut, was eigentlich Sache der Eltern oder des Jugendamtes wäre. Überall also, wo der Priester gemäß seinem eigenen Selbstverständnis durchaus als solcher welthaft handelt, indem er nämlich tätig für die Liebe Gottes zeugt und dabei die Welt ein wenig bessert, da handelt er für den fremden Blick nicht als solcher, sondern subsidiär, als Privatmann, außerberuflich. Man nimmt diese Hilfe gewiß dankbar an, erwartet sie sogar - und trotzdem bleibt (in unserer hochspezialisierten Zeit) der unausgesprochene Eindruck: es kann doch nicht das der Beruf eines Mannes sein, was er nebenher tut, wofür andere sich voll einsetzen. Da die Welt alles ihr Förderliche grundsätzlich in eigene Regie nehmen will, bleibt als eigentlicher "Beruf" des Priesters von und an all seinen Tätigkeiten nur das übrig, was sonst keiner tut: das aber ist der Welt unbegreiflich und scheint ihr nutzlos: der Priester "als solcher" tut nichts. Wem dieses Bild zu schwarz scheint, dem sei eine Umfrage in der Berufsschule empfohlen.

Dasselbe mit anderen Worten: Der Priesterberuf läßt sich von den anderen Sozialberufen nicht adäquat abstrahieren, da der Priester nichts anderes zu tun hat, als die Botschaft unserer Erlösung den Menschen zu verkünden und mit ihnen den Gott der Liebe zu verehren. Was aber kann, fassen wir diese Aufgabe nur weit und konkret genug, irgendein Sozialberuf anders sein, als eine Teilhabe an dieser Aufgabe? Während die anderen aber sozusagen je ihre bestimmte Farbe haben, die die Welt kennt und achtet, ist der Priester als solcher farblos, nimmt nur von Fall zu Fall die eine oder andere Farbe an - wozu man ihn aber wiederum nicht braucht, da ja jede Farbe schon besetzt ist. Also tut für die Welt der Priester als solcher nichts.

3. Theologische Hypothese: Seelsorge ein evangelischer Rat?

Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam sind nicht die einzigen Weisen der Entsagung. Doch war Thomas von Aquin der Ansicht, daß alle anderen aszetischen Klosterübungen sich auf diese drei Grundgelübde zurückführen lassen [S. Th. II-II, q 186 a7 ad2]. Könnte es nun nicht sein, daß einer seither entscheidend gewandelten Welt auch auf neue Weise entsagt werden kann und - von Einzelnen - muß? Könnte es nicht ferner sein, daß diese früher kaum bemerkbare Weise heute so wichtig geworden ist, daß sich unreflex bereits ein entsprechender Stand in der Kirche gebildet hat? Und wie, wenn dieser neue Verzichtstand, ähnlich wie ehedem die Klöster, aus einem historischen Versehen heraus mit Unberufenen belastet wäre, die durch ständiges Aufbegehren das Niveau des ganzen Standes drücken und dabei doch ihrer eigentlichen weltlichen Aufgabe nicht gerecht werden können?

Mit anderen Worten: Heißt Priester werden heute vielleicht de facto etwas tun, was eine ganz bestimmte, nur in Analogie zum Mönchtum verständliche Berufung zum Verzicht voraussetzt - und ist diese tatsächliche Verkoppelung von Priestertum und Welt-Verlassen theologisch zu rechtfertigen?

Um diese Frage zu lösen, gilt es jetzt einen Umweg einzuschlagen.

II.

Die Grundstruktur der evangelischen Räte

1. Das Problem

Seit alters gibt es in der Kirche die drei "evangelischen Räte": Armut, Enthaltsamkeit und Gehorsam. Sie gelten als der bessere Weg, der "Weg der Vollkommenheit". Doch ist uns diese Ausdrucksweise problematisch geworden. Unnachvollziehbar ist uns jene Sicherheit, mit der z.B. auch Augustinus folgende schwerlich beweisbare und unserem Gefühl völlig widersprechende Behauptung vorbrachte:

"Eine Mutter wird im Himmelreich einen geringeren Platz einnehmen, weil sie verheiratet ist, als ihre Tochter, weil diese Jungfrau ist. Aber beide werden dort sein, so wie ein leuchtender und ein dunkler Stern, die dennoch beide am Himmel sind" [Sermo 354 ad continentes 9, PL 39, 1568].

Demgegenüber stehen für uns folgende Wahrheiten fest:

a) Jeder Christ ist zur Vollkommenheit berufen, nämlich zu seiner einmaligen und ganz persönlichen Weise, Gott und die Nächsten zu lieben.

b) Gott und Geschöpf sind keine konkurrierenden Größen. Was immer eines Menschen Motiv sein mag, ein Stück Welt zu verlassen: nicht Gott selbst ist dieses Motiv. Denn Er ist über Nein und Ja zu seiner Schöpfung noch einmal unendlich erhaben. Wieso sollte man Gott mehr lieben, indem man sein Werk, oder gar sein Kind, weniger liebt?

Ist also die ganze, Lehre von den evangelischen Räten nichts weiter als eine Ideologie, von Welt-Ängstlichen zur Selbstbestätigung erdacht? Auf diesen massiven Vorwurf (der Welt sowie eines gewissen Protestantismus) hat jede Theologie der Räte zu antworten. Ihr Problem ist also beträchtlich: Es genügt nicht, wenn man sagt, für den einen Menschen sei eben der eine Weg konkret besser, für den anderen der andere. Denn einerseits scheint ein Verzicht auf etwas Gutes "um Gottes willen" - für keinen das Bessere zu. sein, vielmehr ein Ärgernis; zum anderen sieht es so aus, als erkläre die katholische Tradition den Weg des Verzichts für das nicht nur relativ, sondern absolut Bessere.

2. Weltverzicht als Erscheinung des Glaubens

Christlicher Glaube ist Osterglaube; sein stets unbegreiflicher Inhalt ist, daß der Tod des alten Menschen das Leben des neuen ist. Weil der Erlöste sich somit selbst ein Geheimnis ist, darum enthält sein Glaube ungetrennt zwei (für Erlebnis und Reflexion gegensätzliche) Momente: das hoffende Ausgreifen nach der herrlichen Zukunft des sich schenkenden Gottes, die sich in aller irdischen Freude jetzt schon ankündigt, und die gehorsame Annahme des unausweichlichen Leides, zuletzt des Todes. Daß beide Momente für uns in unauflöslichem Gegensatz stehen, vermögen wir angesichts jener Erfahrung einzusehen, daß uns etwa während eines fröhlichen Hochzeitstanzes der Gedanke an KZ-Greuel nur wie ferner Spuk berühren kann, wogegen uns bei der unmittelbaren Begegnung mit solchen Entsetzlichkeiten jede Vorstellung harmlosen Frohsinns als naive Oberflächlichkeit vorkommt.

Zum Verständnis der evangelischen Räte ist nun die Unterscheidung zwischen Vollzug und Erscheinung des Glaubens notwendig. Vollzug des Glaubens kann, die Sünde ausgenommen, alles sein: das begeisterte Umfangen der Schöpfungswirklichkeit und das hilflose Dulden des Sterbens sind die äußersten Pole. Beides kann aber nicht Erscheinung des Glaubens an Gottes rettende Zukunft sein; vielmehr hat jede positiv der Welt und ihrer Erfüllung zugewandte Tat schon in ihrer innerweltlichen Positivität einen sie rechtfertigenden Sinn, während die reine Passion als solche, da auch ohne Tat gegeben, auch die Erscheinung der bloßen Erfahrung der Absurdität des Daseins sein oder als solche gedeutet werden kann.

Erscheinung des Glaubens, Zeichen der un-endlichen Hoffnung, kann weder die Aktion noch die Passion sein, sondern allein eine positive Negation: sei es die freie Annahme der unentrinnbaren Passion, sei es die frei gewählte Entsagung. Solcher Verzicht, innerweltlich sinnlos, kann an sich keinen anderen Sinn haben, als daß in ihm sich der Glaube bezeuge und seiner selbst vergewissere. Tatsächlich entgeht freilich auch die Entsagung nicht der Zweideutigkeit jedweder Äußerung: auch durch Menschenideologie kommt es zur "Verschnittenheit". Aber diese in sich zweideutig bleibende Erscheinung ist das Äußerste, was der Mensch aktiv tun kann, um seinem hoffenden Glauben eine greifbare Gestalt von großer Wirklichkeitsdichte zu geben. Nicht bloß als ethisches Training, sondern insofern jeder Christ seinen Glauben auch durch die Tat bezeugen muß, gehört Aszese in jedes Christenleben: "Die Taube auf dem Dach ist nur wahrhaft geglaubt, wenn man in Tat und Wahrheit den Spatz in der Hand fliegen läßt, und zwar bevor er einem genommen wird und bevor die Taube schon ergriffen ist" [K. Rahner, a. a. O. Aus diesem Artikel stammt dem Sinn nach unser ganzer Abschnitt II,2].

Der Satz "die evangelischen Räte sind das Bessere" ist also keine Aussage über die höhere Vollkommenheit dessen, der sie übt (seinen Glaubensvollzug), sondern bezieht sich auf die Räte als "Mittel", worin der liebende Glaube nicht nur als angebotener (wie in Wort und Sakrament), sondern auch als angenommener erscheint. Insofern die evangelischen Räte (im Gegensatz zu anderen Weisen der Entsagung) zwar nicht zur Struktur der amtlichen, aber doch der sichtbaren Kirche gehören, haben sie im Großen, in der Öffentlichkeit, eben diese Bedeutung: die Kirche zum Zeichen der angenommenen Gnade zu machen. Alle Undeutlichkeit im Einzelnen kommt gegen dieses große Zeichen nicht an. Es ist freilich nur vor dem Hintergrund des christlichen Weltstandes lesbar: die Welt grundsätzlich schlecht machen und dann verlassen wäre nichts Besonderes. So aber bezeugen beide Stände sich und einander: Weder Tun noch Lassen macht es, sondern Gott allein.

3. Weltverzicht als Solidarität

Jetzt wollen wir noch einen Schritt weiter fragen: Wozu überhaupt den Glauben auf die negative Weise der Weltentsagung zur Erscheinung bringen? Gewiß hilft Gott unserem Glauben durch Zeichen - die Evangelien sind voll von ihnen (Elisabeth für Maria, die Heilung für den gichtbrüchigen Sünder usw.). Sie sind aber alle positiv und von Gott gewirkt. Warum wir selber uns negative Zeichen setzen sollen, muß schon eigens gefragt werden. Die Antwort führt, so scheint es, ins Herz der christlichen Entsagung.

Ist Gottes Sohn auch Mensch und Sterbender geworden, um dem Vater seine Hingabe auf eine Weise zu bezeugen wie alle Pracht der reinen Gottheit sie nicht erlaubt? Über dieses innerste Geheimnis der Geschichte steht uns kein Urteil zu. Gewiß ist, daß er für uns und um unseres Heiles willen unsere Schmerzen geteilt hat. Indem er jenen Tod, dem wir ausgeliefert sind, freiwillig auf sich nahm, hat er uns offenbart, daß der Tod nicht das Eigentliche ist: denn Gottes Liebe hat sich ihm überlegen gezeigt. Und sofern er das für uns tat, ward - von der letzten Verstockung abgesehen - auch unsere Sünde als bloß Vorletztes abgetan: das Letzte ist, daß Gott uns liebt.

Diese Liebesbewegung Christi nun vollzieht christliche Entsagung mit. Sie setzt an im Herzen dessen, der weiß: alles ist mein, denn ich bin Gottes. Das nächste ist die Frage: Wie soll ich diese Weltvollmacht ausüben? Die Berufung entscheidet. Ergeht sie zur Entsagung, so könnte das Motiv vielleicht so formuliert werden: Unzählige Menschen sind arm, geknechtet, geschlechtlich unerfüllt. Warum soll ich es besser haben als sie? Ich will freiwillig das sein, was sie gezwungen sein müssen: das könnte ihnen glauben helfen, daß wir von all dem längst erlöst sind, so weh es uns auch nach wie vor tut. - So kann sich das evangelische Gebot, unser Licht vor den Menschen leuchten zu lassen, nach Gottes Wahl zum Rat der Entsagung konkretisieren. Nicht allein also, um unsere Wahrheit uns und anderen zu beweisen, sondern um ihre Seligkeit den Hungernden zu erschließen (und ihre Gefährdetheit den Satten!), deshalb mag ein Christ sich von den vollen Tischen abkehren und deshalb ist dies das bessere, weil liebendere Verhalten. Allerdings behält die Torheit der Liebe ihr Recht, die es ganz einfach, ohne jeden Hinblick auf irgend jemand sonst, nicht besser haben will als der gepeinigte Herr und Freund: die Liebe liegt dabei jedoch nicht in der Entsagung, sondern in der Einheit mit dem Vorbild; daß nun aber im Leben Christi selber auch ohne die Erlösung der Vielen die Torheit des Kreuzes Gottes Weisheit wäre - das zu behaupten ist uns nicht erlaubt. Somit bleibt auch in der einsamsten Selbstverleugnung die Hingabe des Herrn an die Menschen mitgewollt.

In dieser Sicht wird die Armut aus einem Fachausdruck der Aszetik wieder zum unappetitlichen Wort der Umgangssprache [François lädt mich zum Abendessen ein: "Père, wir müssen zusammen essen." Morgen abend gern, jetzt habe ich schon gegessen. "Nein, jetzt gleich, morgen ist es nicht mehr dasselbe, dann ist das Fest schon vorbei, gerade heute müssen wir miteinander essen." Ich lehne ab, er drängt. Man sieht es ihm an, wie er nach dem durchschlagenden Argument sucht. Na, Père, Sie brauchen sich nicht zu genieren, alles, was es heute gibt, habe ich in den Tonnen gefunden. Sie können sich also ganz wie zu Hause fühlen." Darauf gibt es keine Antwort; es bleibt mir nur, mich zu Tisch zu setzen (Jacques Loew, En mission prolétarienne, livre de vie 5, S. 46)]. Gehorsam wird als das gesehen, was es in der Welt überall gibt: das lastende Joch eines unbequemen Vorgesetzten; und der Enthaltsame versagt sich eben das, was Millionen vom Schicksal verweigert oder genommen ist: die Einheit von Leib und Person mit einem geliebten Menschen. Der Mensch der Räte läßt sich auf all dies Schwere ein, weil er über sich die Huld seines Gottes weiß, der ihn in alledem von alledem befreit.

Dann kann es allerdings sein, daß er über weite Strecken hin auch innerweltlichen Segen empfängt: wenn die Armut bescheidene Sorglosigkeit wird, der Gehorsam freundschaftliche Zusammenarbeit mit verständnisvollen Oberen, die Enthaltsamkeit herzliche Verbundenheit mit vielerlei Menschen. Wäre solcher Segen jedoch das letzte Motiv, dann würde keinem evangelischen Rat gefolgt, sondern einer (in sich durchaus ehrenwerten) weltlichen Klugheit.

Um diese Ergänzung an Rahners schönem Bild zu verdeutlichen: Nicht einfachhin, um mich und andere zu vergewissern, daß ich an die Taube glaube, lasse ich den Spatz los, sondern weil dieses glaubensgewisse Loslassen den Vielen (zu denen ich andererseits gewiß auch oft gehöre), die ohne Spatz dastehen, ernstlich helfen kann, sich an der Hoffnung auf die Taube zu freuen, und weil zum anderen die Besitzer von Spatzen mit dem Gedanken vertraut werden sollen, daß sie die ihren auch bald einbüßen werden - und daß dies im Grunde gar nichts macht.

III.

Seelsorge als "vierter evangelischer Rat"

Diese nämliche Grundstruktur der evangelischen Räte (negative Erscheinung des Glaubens aus Solidarität mit den Vielen) scheint nun auch das "Image" des heutigen Seelsorgeberufes überraschend zu klären.

1. Seelsorge als Weltverzicht

Wir sahen: Der Priester als solcher tut in den Augen der Welt nichts Erst vor einigen Wochen erklärte mir ein Berufsschüler mit treuherziger Freundlichkeit: Alles Geld, was der Staat für Kirchen und Pfarrer ausgibt, ist zum Fenster hinausgeworfen. Nun: Dergestalt ein Außenseiter der Gesellschaft zu sein, neben der gewaltigen Dynamik unserer Welt herzuleben, seine Kräfte in vielerlei Richtungen und Aktiönchen zu zerfasern (selten sicher vor der Gefahr "parapastoralen Betriebs"), statt gesammelt auf ein verifizierbares Ergebnis hinzuwirken, kurz: ohne innerweltlich greifbares Berufsziel zu leben: sollte das (besonders in einer funktional aufgebauten Gesellschaft) nicht eine fundamentale Weise des Weltverzichtes sein, analog den drei evangelischen Räten?" [Ein evangelischer Rat im Wortsinn ist es auf jeden Fall: "Gehet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" Auch protestantische Seelsorger leben, als Stand, mit uns diesen Verzicht.]

Folgender Einwand kann diese These vielleicht verdeutlichen: Ist nicht das Verkünden des Reiches Gottes eine durch und durch positive Tätigkeit? Wie kann man sie unter den Begriff "Entsagung" bringen?

Vielleicht sollten wir uns allmählich von altvertrauten Vorstellungen frei machen. Sofern man den Verkünder der Gottesherrschaft zum bloßen Religionsdiener einer, religiösen Zeit mißdeutet, ist seine Aufgabe allerdings positiv. Er hat, so gut er kann, die Ordnung der Welt vom mächtigen Schaltbrett der Ewigkeit aus zu gewährleisten. Doch liegt hier nicht das Wesen, sondern nur ein berechtigter Ausgangspunkt der christlichen Verkündigung. Nach wie vor ist das unverwässerte Wort vom Kreuz den Gescheiten Dummheit und den Frommen Ärgernis. Sich berufsmäßig diesem Worte zu weihen war und ist darum etwas anderes als das Pfarrer-Werden von ehedem. Man braucht nicht so weit zu gehen wie Kierkegaard, der an den Pfarrern das unerhörte Kunststück bewunderte, von nichts zu leben: denn sie hätten das Christentum abgeschafft und lebten doch recht ansehnlich davon. Aber unterscheiden muß man doch wohl zwischen der positiven Funktion eines Kult- und Moralbeamten und der scheinbar und zunächst stets negativen Aufgabe dessen, der alles Bestehende und Geltende immer wieder unter das schneidende Wort Gottes stellen muß. Jeder Christ hat diese Aufgabe, auch die Pfarrer von damals hatten sie natürlich; sahen sie aber ihren Beruf gerade darin? Das zu bezweifeln ist wohl keine Anmaßung.

Eschatologisch freilich - und wir leben schon in den letzten Zeiten! - ist dieser Lebensstand ebenso positiv wie die anderen drei Räte. Wie sollte es etwas Positiveres geben, als einem geistlich Gestorbenen die Auferstehung zu verkünden? So gesehen, gibt es aber auch keinen größeren Reichtum als das himmlische Bürgerrecht des Bettelmönchs, keine größere Freiheit als den Gehorsam eines Franz Xaver, keine köstlichere Liebe als Teresas Geborgenheit bei ihrem göttlichen Verlobten. Außer dieser entscheidenden Positivität gibt es eine andere (von der schon die Rede war): Das durch die Entsagung entstandene Vakuum muß irgendwie ausgefüllt werden, weil kein Mensch ein rein negatives Leben führen kann. So kann die Armut zur bescheidenen Sorglosigkeit werden, der Gehorsam zur geschätzten Mitarbeit, die Enthaltsamkeit zur Freundschaft. So kann natürlich auch (muß aber nicht) das Verkünden des Evangeliums zu einer Kette menschlich befriedigender Tätigkeiten werden. All diese Hilfen lassen aber nicht vergessen, worauf man verzichtet hat, in unserem Fall auf ein weltlich klar erfaßbares Berufsziel. Der Bäcker weiß, was er zu tun hat, der Mechaniker zweifelt nicht, daß das Rad wieder sitzt, der Arzt sieht, wie die Narbe verheilt. Der Apostel hingegen weiß weder, was er zu tun noch wann er es getan hat. Weder an kahlen Feldern noch an Saatgut kann es je fehlen, nur an Zeit, Kraft und Lust (lies: Liebe). Wer will da noch behaupten, das sei ein Beruf wie jeder andere? [So sehr die Lage heute anders ist, so traditionell ist übrigens der Kern dieser These! "Es ist klar, daß der Stand der Vollkommenheit mehr in den Bischöfen als in den Ordensleuten ist." (Thomas, S. Th. II-II, q184 a7.) Wohl läßt Thomas die einfachen Priester nicht mit zum Stand der Vollkommenheit gehören (a6), bezeichnenderweise aber mit der Begründung, sie könnten die Seelsorge ja wieder aufgeben. Der Mangel einer festen Bindung also schloß manche Seelsorger vom Vollkommenheitsstand aus; wo sie - bei den Bischöfen - gegeben ist, gehört der Seelsorger, der ja sein Leben für seine Schafe geben muß ihm ohne weiteres an, sogar mehr als die Ordensleute. Aus dieser Auffassung erhellt doch, daß auch in einer klerikalen Gesellschaft echte Hirtensorge kein weltliches Geschäft war. Nur trifft das Außenseitertum, das damals im Maße seines Eifers der einzelne verspürte, heute global den ganzen Stand, von dem der einzelne dann höchstens, im bekannten Kreise, die beliebte Ausnahme ist.]

2. Solidarität im Weltverzicht der Seelsorge

Wir sahen oben: Aus Liebe zu den Vielen, die ein bestimmtes Gut oder das von ihm erwartete Glück entbehren müssen, kann ein Christ auf dieses Gut freiwillig verzichten, um ihnen so Mut und Trost zu schaffen. Wenn hier das entscheidende Motiv der evangelischen Räte liegt, dann fragt sich jetzt: Welchen Mangel der Vielen erlöst jener, der sich auf die beschriebene Weise zum Außenseiter der Gesellschaft macht?

Auch hierzu ein Zitat:

"Die christlichen Einsiedler der spätantiken und mittelalterlichen Welt, die in Wüsten und tiefen Wäldern hausten, waren niemals so vereinsamt wie der Mensch in der gegenwärtigen Gesellschaft, der nur darauf zu achten hat, wie er vorwärts kommt, so daß es 'bei dichtester räumlicher Nähe keinen Nächsten im innerlichen, seelischen, schließlich moralischen Sinne' für ihn gibt. Der altchristliche Eremit wie der moderne Trappistenmönch sind innerlich der Welt verbundener als der Angehörige eines heutigen Riesenbetriebes" [Hubertus Halbfas, Umweltbezug und Generationsverhältnis der Jugend, Kat. Bl. 91/1966, 527 f.].

Der Priester ein Außenseiter der Gesellschaft? Nun, heimlich und innerlich sind es die meisten. Gewiß haben Müllkutscher und Journalisten ihre klar umrissene Funktion und darum ihren festen Platz in der Gesellschaft, aber erhebt sich nicht auch in solchen wie in allen Berufen immer wieder die furchtbare Angst: vergeude ich nicht mein Leben? Ist das ein Lebensinhalt, anderer Leute Abfall wegzuräumen oder Torheiten kommentierend zu berichten? Und steigert sich diese Anfechtung nicht sogar mit der Verantwortung, die ein Beruf auferlegt, bis hin zur grauenhaften Depression des Herrschers, der erfahren muß, wie gegen die Zeit und der Menschen Gleichgültigkeit kein Werk bestehen kann?

Wenn solche frustrierten Menschen dann jemandem begegnen, der sehr wohl in der Welt tüchtig mitmischen könnte, dem aber aus freien Stücken absagt, um nur "den Armen das Evangelium zu verkünden"; wenn sie erleben, wie da ein Mensch ohne anerkanntes Berufsziel lebt, von der öffentlichen Meinung - der er sich sogar anschließt - zum Außenseiter gestempelt und dennoch in der Hoffnung fröhlich ist: sollte ihnen das nicht ein kräftigendes Heilszeichen sein? Was sie, kaum sich selbst eingestanden, selber sind: verloren neben einer übermächtigen Masse dahinlebend, ohne recht zu wissen, warum eigentlich und woraufhin - das ist der Apostel eingestandenermaßen und vor aller Welt, soziologisch jedem Unterprimaner greifbar. Und es bringt ihn so wenig zur Verzweiflung, daß er vielmehr für jedermann ein ermunterndes Wort hat.

Mir scheint, hier liegt tatsächlich genau dieselbe Struktur vor wie bei den übrigen Räten. Der Apostel läßt den Spatz eines klaren Berufszieles fliegen, um die vielen, welche tiefer geblickt auch keines haben, glaubwürdiger mit der Taube eines un-greifbaren, un-endlichen Sinnzentrums und Wirkzieles trösten zu können, das er eschatologisch-geheimnisvoll doch schon besitzt: denn ist, solches zu tun, nicht das schönste Berufsziel, das ein Mensch sich in einer zerstäubenden Welt überhaupt setzen kann?

IV.

Der Kern des Problems

1. Stand der Diskussion

Es ist hier nicht der Ort, die heutige theologische Grundlagendiskussion in wissenschaftlicher Ausführlichkeit darzubreiten. Doch sei zu ihr ganz kurz Stellung genommen; denn nur innerhalb dieses Netzes von Fragen und Ansichten kann der Priester sich selbst verstehen. Weil es sein Beruf ist, von Gott zu reden, darum muß er eine Antwort wissen auf die Frage: Wie läßt sich heute von Gott reden? Unterscheiden wir vier verschiedene Einstellungen zu dieser Frage:

a) Die erste ist eine sich für traditionell haltende Unbekümmertheit. "Gott" ist der, um dessen Dasein und Allmacht jeder im Grunde weiß, wenn ihn auch viele aus Bosheit leugnen. "Gott" ist hier der Zentralbegriff des menschlichen Wissens als solchen. Von ihm zu sprechen ist mithin eine der vornehmsten menschlichen Aufgaben; wer darauf nicht hören will, ist entweder dumm oder schlecht. - Dieser Ansicht sind gewiß viele Priester und Gläubige; für sie hat sich am überkommenen Priesterbild nichts Wesentliches geändert.

b) Die zweite mögliche Stellung hat Dietrich Bonhoeffer eingenommen: Er weiß, daß er keine Antwort weiß. Es scheint ihm unfair, die Menschen erst in trübe Gedanken über Schuld und Tod hineinzustoßen, um sie vor Gott zu bringen; wie er es aber anders machen solle, wie er weltlich von Gott sprechen könne, weiß er nicht. Er hatte das große Charisma, bewußt und klar auszusprechen, woran schon lange viele Christen litten und leiden.

c) Für eine dritte Ansicht mag der Name Paul Tillich stehen: Der Mensch fragt immer nach einem Letzten. Im Altertum war es die Unsterblichkeit, zur Reformationszeit die Rechtfertigung, heute ist es der "Sinn des Lebens". Zu einem Menschen von Gott reden heißt herausfinden, wie gerade bei ihm diese letzt-existentielle Frage auftritt - und sie dann mit dem großen christlichen Ja beantworten.

d) Eine vierte Grundstellung nimmt neuerdings Harvey Cox ein ["Stadt ohne Gott?", Kreuz-Verlag Stuttgart 1966]. Den pragmatischen Zeitgenossen kennzeichne es, daß er eben nicht nach dem Sinn des Lebens fragt, sondern sich mit je begrenzten weltlichen Schwierigkeiten bescheidet, die ihn seine ganze Kraft kosten: Wie rettet man die Welt vor Hunger und Atomkrieg, wie saniert man die Städte, wie überwindet man den Klassen- und Rassenhaß? Zu diesem Menschen von Gott reden könne man nur "politisch". Es gilt, im Licht der vergangenen die heutigen göttlichen Heilstaten zu erkennen und mit durchzusetzen: Die Sprache von Martin Luther King versteht auch der abgebrühteste Pragmatiker.

2. Versuch einer Zusammenschau

Mir scheint, zwei fundamentale Unterscheidungen vermögen einige Klarheit zu schaffen:

a) Der innerweltliche - endliche - vorläufige - geschöpfliche - kategoriale - natürliche Bereich ist zu unterscheiden vom göttlichen - übernatürlichen - letztexistentiellen - eschatologischen - eigentlichen - unendlichen Bereich. Beide müssen ungetrennt zusammen- und unvermischt auseinander-gehalten werden, nicht nur in der Person Jesu, sondern auch bei uns, die dort bei ihm sein sollen, wo er ist.

b) Die menschliche Aufmerksamkeit kann vorwiegend rückwärts oder vorwärts orientiert sein. Das heißt: Die Hauptfrage ist entweder "woher komme ich" oder "was soll ich tun". Die Antwort auf die erste Frage ist metaphysisch: Gott ist die Erstursache der Welt. Die Antwort auf die zweite Frage ist politisch: Ich soll mitarbeiten mit Gott, dem Vollender dieser Welt. Beide Male ist das Wort "Gott" definiert und verständlich als Antwort auf gerade diese Frage. Das gleiche Wort hat darum je einen sehr anderen Sinn. Ein Name ist es in beiden Fällen nicht.

Unsere Epoche nun ist eindeutig zukunftsgerichtet. Nicht was gestern oder im Anfang war, hat Geltung, sondern was übermorgen sein soll. Deshalb hat Cox recht: dem heutigen Menschen müssen wir politisch von Gott reden, d. h. ihn in Gottes Handeln hier und heute hineinreißen. Die Metaphysik ist darum nicht falsch; keine Antwort auf eine nicht gestellte Frage ist falsch. Mehr noch: Wie früher stellt auch hinfort jeder reife Christ beide Fragen; verändert hat sich allein der Ausgangspunkt: Wer den christlichen Weg beginnt, für den ist heute unverständlich, was ehedem selbstverständlich war. Diese pastorale Revolution bedeutet aber nicht die geringste dogmatische Änderung!

Beide Antworten jedoch, die metaphysische wie die politische, bewegen sich innerhalb des endlichen Bereiches. Gott erscheint einmal als der Schöpfer, zum anderen als der Umstürzler der je bestehenden Halbordnung: stets aber als im Endlichen Handelnder, nie in Seinem eigentlichen, innergöttlichen Leben. Zu diesem aber sind wir berufen, an ihm haben wir jetzt schon wahrhaft Anteil. Deshalb genügt weder die metaphysische noch die politische Sprache noch beide zusammen. Wir müssen auch existentiell von Gott sprechen, als von jener letzten Liebe, welche die bestehende ebenso wie die aufzurichtende Welt erst schön macht und zugleich ihre Schönheit unendlich überbietet.

Ganz zu sich selbst kommt die existentielle Theologie allerdings nur an der Grenze: im theoretischen Scheitern der stammelnden Metaphysik, im praktischen Scheitern der ungesegneten Taten, eben dort, wo das Wissen ins Nichtwissen mündet und das Leben in den Tod. Dorthin darf freilich kein Mensch den anderen zwingen - wohl aber tut das, zu unserem Heil, immer wieder Gott selbst. Zu unserem Heil: denn erst wo die Welt am Ende ist, kann ich sie nicht mehr verwechseln mit dem wahren Gott - der mir auch dann noch bleibt.

V.

Folgerungen für das Priesterbild

Zunächst gilt es, das Kultpriestertum und die verschiedenen möglichen Berufe seiner Inhaber deutlich zu unterscheiden. Ein geweihter Priester kann im Namen der Kirche die Eucharistie feiern und Sünden vergeben; nur das zu tun ist aber kaum ein Beruf - der Pfarrer von Ars war eine gottgewollte Ausnahme; die bewundernswerten südamerikanischen Wanderpriester, die zu nichts anderem kommen, dürfen auch keine Regel sein, sondern sind Symptom einer beängstigenden Not. Zu allem anderen, was ein Kaplan zu tun hat, verlangt das göttliche Recht nicht die Priesterweihe. Andere Menschen stellen ihr ganzes Leben in den Dienst der Seelsorge, ohne doch Priester zu sein (bestimmte Katechetinnen etwa). Die Folgerung ist klar: Priester zu sein ist überhaupt kein Beruf, vielmehr mögliches sakramentales Herz eines jeden Berufes [Diese Aussage klingt vielleicht manchem schockierend; wird sie aber nicht längst schon gelebt und auch gelehrt? Das Konzil zählt z. B. in Art.8 des Priesterdekretes folgende mögliche Tätigkeiten von Priestern auf: Pfarrdienst, überpfarrlicher Einsatz, Forschung und Lehre, Handarbeit, sonstiges irgendwie apostolisches oder "aufs Apostolat hingeordnetes" Tun. Sodann heißt es. "Auf eines hin wirken freilich alle zusammen, nämlich auf den Aufbau des Leibes Christi." Diese Einheit ist nun jedoch nicht mehr soziologisch greifbar und bewirkt darum nicht, daß alle Priester, weltlich gesprochen, denselben Beruf haben.]. Der französische Arbeiter, der mit ein paar Bekannten des Quartiers nach der Schicht am Wohnzimmertisch die Messe feiert, der deutsche Gewerkschaftsspezialist, der vor der Vorlesung eine Handvoll Studenten um den Altar versammelt, der Lebenskundelehrer an der japanischen Berufsschule, der in der Osternacht feierlich zwei Schüler taufen darf: was haben diese drei Männer beruflich miteinander gemein? So gut wie nichts, und doch sind alle drei Priester, nämlich Welt-Priester in einem neuen, schärferen Sinn dieses alten Ausdrucks.

Sodann gibt es eine Reihe von Berufen, die weder schlechthin weltlich noch auf die weltüberlegene Existenz bezogen sind; wir können sie vielleicht "heilsgeschichtliche" Berufe nennen. Ihr Wirkfeld ist das Endliche, nicht aber, insofern es in sich selber ruht, sondern insofern es in der Spannung von Böse und Gut steht, d. h. der Ort des göttlichen Handelns ist. Das sind die prophetischen Berufe. Geistliche Beiräte von Zentralkomitees, CAJ-Gebietskapläne, freischaffende Ökumeniker, engagierte Akademiedirektoren, früher: Hofbeichtväter, Jesuitenprovinziale in Paraguay. Sie stehen allesamt im selben Zwielicht wie ihr Meister, der auch als "Politischer" verurteilt wurde.

Der Beruf des Seelsorgers endlich ist gegen beide Typen von weltlichen Berufen abgesetzt. Sein Ziel ist nicht endlich, sondern eigentlich. Er soll die Menschen nicht auf Gottes weltliche Taten verweisen, sondern auf Gott in Ihm selbst, sofern ER über alles, was er im Vorläufigen tut, unendlich erhaben ist. Das un-endliche Staunen in den Herzen der Kleinen entzünden, den un-endlichen Schwung der Jugend mitteilen, die un-endliche Verantwortung den Erwachsenen entdecken helfen, den un-endlichen Trost den Verwelkenden vermitteln: das ist der Seelsorger herrliche Berufsaufgabe. Daß somit dem Seelsorger, ähnlich wie dem Mönch, das innerweltliche Berufsziel fehlt, wird leicht dadurch verschleiert, daß er ja ständig aktiv mit anderen Menschen zu tun hat. Das, was er an ihnen und für sie tun möchte, ist aber ebensowenig "etwas" wie das Schweigen des Mönchs.

Damit haben wir aus dem bisherigen Priesterbild drei recht verschiedene herausentwickelt: Kultleiter, Mitkämpfer der Taten Gottes, Helfer der Existenz zur letzten Eigentlichkeit. Diese Einteilung deckt sich ungefähr mit dem vertrauten Drei-Ämter-Schema: Priester, Prophet, Hirte. Jeder Christ, was immer sein Beruf, hat Anteil an allen drei Aufgaben. Jeder muß anbeten und sakramental leben, jeder hat seine Umwelt im Geist der Bergpredigt zu beeinflussen, jeder muß seinen Nächsten zu Glaube, Hoffnung und Liebe helfen. Zu den drei Ämtern gesellen sich die drei "Räte": Jeder Christ muß keusch, arm und einfügsam sein. Dieser eine, gemeinsame christliche Lebenssaft ist es, der dann in den verschiedensten Charismen die mannigfachsten Zweige, Blüten und Früchte treibt. Der Geist ist einer.

Die Berufe jedoch sind verschieden. Darum ist mit folgender Lage a priori zu rechnen: Die Berufung zum Priestertum und die zum hauptberuflichen Seelsorger fallen zwar nach der noch offiziellen Ansicht zusammen, aber nicht immer in Wirklichkeit. So kann es zu Unzuträglichkeiten wie dieser kommen: Ein junger Mann fühlt sich zum Priester berufen, merkt aber erst, da er schon "der Kaplan" in seinem Dorf ist, daß er wohl doch nicht zu dem Seelsorger taugt, den sich das Ordinariat wünscht, sondern daß sein Beruf nach wie vor der Welt gehört. Wie wird die Geschichte enden? Ein anderer weiß sich zum Beruf des Seelsorgers getrieben, mit all dem Verzicht, aber auch den hundertfachen Freuden dieses Lebens - doch scheut er vor dem Priestertum und der Ehelosigkeit zurück. Er wird in Zukunft Diakon werden können, für jetzt aber vermag er sein Ziel nur zum Teil, nämlich als Kinderlehrer, zu erreichen.

Was dürfte die Kirche eigentlich daran hindern, alle von Gott her möglichen Variationen des Christenlebens auch juristisch zuzulassen? Gewiß muß die Verkoppelung von Priestertum und Zölibat vom Ende der Verfolgungszeit bis zum Ende der religiösen Zeit als Wille Gottes verehrt werden. Solange der Priester als Christ in einer "christlichen" Welt zu Hause, ja sogar als Spitzenfunktionär der Gesellschaft unter den Privilegierten war, solange hätte wenigstens dieses eine Zeichen die Ernsthaftigkeit seiner Hingabe bezeugen und ihn an der vollen Verweltlichung hindern sollen. Heute aber, so sagt uns das Konzil, sind nicht nur die Priester, sondern auch die Gläubigen wieder wie Fremde in dieser Welt; schon ein gewöhnliches Christenleben zu führen ist im Bann des neuen Heidentums schwierig und strahlkräftig genug, um der Kirche zu gestatten, auch ohne zusätzlich institutionalisierte Entsagung einem gereiften Christen das Priestertum anzuvertrauen [Das göttliche Recht der Gläubigen auf priesterlichen Beistand dürfte in Südamerika vielleicht schon bald den verheirateten Freizeit-Priester erzwingen; vgl. die beschwörende, glasklare Konzilsintervention von P. Koop, Bischof von Lins (Brasilien), enthalten in: Galli-Moosbrugger: Das Konzil und seine Folgen, S. 285]. Möge es also in der Kirche der Zukunft Ehelose und Verheiratete geben, hauptberufliche und nebenberufliche Künder, Weihepriester und Teilhaber am allgemeinen Priestertum, und zwar in allen Kombinationen!

Lange Zeit sind die Laien in der Kirche etwas diskriminiert worden. Heute ist allen klar, daß jeder zur Heiligkeit berufen ist, auch wenn der Rätestand, als deutlichere Erscheinung des Glaubens, objektiv das Bessere ist und bleibt. Wenden wir diese wichtige Erkenntnis auf das Verhältnis der Priester untereinander an: manches Mißverständnis könnte sich entgiften. Die Seelsorger aus Berufung und Leidenschaft haben recht, wenn sie ihr Los schwer und groß zugleich empfinden; denn es ist objektiv das Vollkommenere. Sie sollten es aber manchen Mitbrüdern nicht ankreiden, wenn sie sich, trotz der Priesterweihe, mehr zur Mitsprache im Konzert der Welt als zum ausschließlichen Seelen-Dienst hingezogen fühlen. Das muß nicht Lauheit und Rückfall, das kann ihre Berufung sein.

Natürlich geht es nicht darum, aus einem Priesterstand zwei zu machen. Ist aber mit dem Ständestaat und der ständischen Gesellschaft nicht überhaupt auch das Modell geistlicher Stände zerfallen? An dieser Denkart dürfte für die Kirche lediglich die soziologisch greifbare Bekundung des fundamentalen Doppelaspekts von Welterlösung und Weltentsagung unaufgebbar sein. In unserer differenzierten Gesellschaft bedarf es dazu aber wohl nicht des breiten Grabens zwischen "Weltstand" und "Vollkommenheitsstand". Vielleicht täte denselben Dienst besser eine klare Unterscheidung der zwei Grundrichtungen (Ja oder Nein zur Welt) in mannigfachen Dimensionen (Besitz, Selbstverfügung, Geschlechtsleben, Berufsziel, Wirken in der Heimat) sowie vielerlei strukturellen und unzählbaren individuellen Schattierungen, Kombinationen, Akzenten. Tatsächlich ist es ja immer schon so: der Pfarrer in A-dorf lebt die christliche Armut deutlicher, sein Mitbruder in B-stadt mehr die Weltfreude, ein Dritter ist am liebsten Verkünder der Frohen Botschaft an Kranke und Bedrängte, der Vierte sieht seine und seiner Gemeinde Aufgabe vor allem im konkret-aktiven Dienst an der Welt hier und jetzt und hält darum öfters geistliche Planungskonferenzen mit evangelischen und sozialistischen Kollegen ... Viele Gaben, ein Geist. Schon durch sein Atmen sagt jeder Christ ein emphatisches Ja zur Welt, und schon wenn er ein böses Wort hinunterwürgt, übt er sich im Sterben. Keiner bejaht nur, und keiner entsagt nur: die Vielfalt der innerhalb des einen Rahmens möglichen Muster aber sprengt alles Denken in Ständen.

Beten wir für die Verantwortlichen der Kirche, daß sie die so schwere Freiheit wagen, der waltenden Erfindungsfreude des Schöpfers von den juristischen Strukturen her keine Schranken zu setzen. Er könnte uns dadurch strafen, daß er sie nicht zerbricht.

Veröffentlicht in "Geist und Leben" 39/1966, 425-441


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