Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


9


Sanctus und Benedictus

Sanctus, Sanctus, Sanctus, Dominus Deus Sabaoth.
Pleni sunt caeli et terra gloria tua
Hosanna in in excelsis.

Benedictus qui venit in nomine Domini. Hosanna in in excelsis.

Heilig, Heilig, Heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalten.
Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit.
Hosanna in der Höhe.

Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.

Das Sanctus, mit dem die Seraphim (= Brandwesen) gemäß der prophetischen Vision (Jes 6,3) der göttlichen Majestät huldigen, wird auch im jüdischen Gottesdienst noch heute gebetet. An es schließt sich der Gesang Benedictus (Ps 118,26), mit dem die Volksscharen den in Jerusalem einziehenden Jesus begrüßten (Mk 11,9f; Mt 2,9; Joh 12,13), dabei riefen sie auch Hosanna, was eigentlich ein Bittruf (Hilf doch!), dann aber zu einem Jubelruf geworden war, etwa mit der Bedeutung "Heil!" (Hieronymus tadelt einmal die Unsitte, das Hosanna Bischöfen zuzurufen.) Drei Evangelien enthalten das Hosanna; alles spricht mithin dafür, daß wir beim Hören dieses Wortes (fast) den gleichen Klang vernehmen, der damals auch an Jesu Ohren drang - eine zwar minder wichtige, dennoch aber schöne Idee.

Agnus Dei

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme Dich unser.

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.
Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünden der Welt, gib uns den Frieden.

Das Gebet übernimmt den geheimnisvollen Titel, mit dem Johannes der Täufer (Joh 1,29) auf Jesus hinwies, vielleicht "im Blick auf das Paschalamm oder auf die beiden täglich im Tempel geopferten Lämmer ... Der Titel wird aus der judenchristlichen Tradition, vielleicht aus dem liturgischen Sprachschatz stammen, in dem er als Messiastitel ohne Reflexion auf seine ursprüngliche Bedeutung, jedoch für viele Assoziationen Raum gebend, gebraucht wurde." [Bultmann z.St.]

Eine Überlegung zum Schluß: Es gilt einzusehen, daß Wörter wie Kirche und Gemeinde einen in sich vielfach gestuften Begriff ausdrücken. Jede sichtbare Gemeinde ist ein gottgewolltes Zeichen, deshalb ist auch bei ihr Sein und Sinn zu unterscheiden (der Sinn des Herdschalters sind 200 Grad, das Sein ist kühl; der Sinn des Tourenzählers 3000 Umdrehungen). Der Sinn der Kirche ist: "Heil für alle Menschen", einer Gemeinde Sein umfaßt jedoch nie alle Menschen, verdankt sich vielmehr stets einer bestimmten Erwählung, Aussonderung, dem "Heraus-Ruf" (Wortsinn von "ek-klesia"=Kirche) Gottes. Dieser vollzieht sich sozusagen in verschiedenen Sprachen (auf deutsch gehören z.B. u und c zum Zeichen "alle Buchstaben", d und l nicht, auf spanisch - "todas las letras" ist es umgekehrt). Eine Menge solcher Sprachen hat sich innerhalb der christlichen Ökumene entwickelt, jede schließt andere Menschen und Glaubensformen ein oder aus. Ein Ashram, in dem Hindus und Christen zusammenleben, das Ratzinger-Sekretariat im Vatikan und der Heroldsberger Kirchenvorstand sind überaus verschiedene Weisen von Kirche. Wichtig ist Jesu allzu unbekanntes Prinzip: "Wer nicht gegen euch ist, der ist für euch" (Lk 9,50).

Jene Sprache, in der Gott eine Kantorei aus der Menge der Menschen "herausruft" und so zur Kirche macht, ist die geistliche Musik. Sie entschleiert ein besonderes, auf andere Weise nicht zugängliches Antlitz des Ewigen SINNes: Das Heil, wie es in der Bibel berichtet und von begnadeten Musikern in Töne gesetzt worden ist, offenbart sich Sängern und Hörern immer wieder aktuell neu. Die Harmonie der Töne, der Wechsel von Dis- und Konsonanz und vieles mehr ist eine unersetzbare Weise, das mit den schwachen Wörtern "Heil für alle" tief Gemeinte dem angstvoll-vertrauenden Herzen neu vernehmbar und glaubhaft zu machen - durchaus unabhängig davon, welche weltanschauliche Ideologie seinen Verstand prägt, ob also etwa das Wort "Gott" ihm - wegen einer ekklesiogenen Neurose - jenen seelenvergiftenden Vampir bedeutet, der geleugnet werden muß, oder gesunderweise die LIEBE.

<


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/sanc_agn.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann