Gotthold Hasenhüttl:

Die Wahrheit behaupten, ohne den anderen ins Unrecht zu setzen

Eine Rezension


Jürgen Kuhlmann: Etappen der Großen Liebesgeschichte . Wie Glaube zugleich bestimmt sein und Frieden stiften kann. Unitas Verlag Nürnberg 2001, 145 Seiten.

In der heutigen theologischen Literatur findet nur selten ein Buch, das einen solchen Lichtblick darstellt, wie das des leider wenig bekannten Theologen Kuhlmann. Er eröffnet eine theologische Perspektive, in der der christliche Glaube nicht mehr als einzige Wahrheit begriffen wird, jedoch nicht der Beliebigkeit verfällt. Am Beispiel des Verhältnisses Judentum und Christentum zeigt der Autor dieses unter Berufung auf das 2. Vatikanische Konzil. So hat Papst Johannes XXIII. bereits 1959 die Beschimpfung der Juden in der Karfreitagsliturgie gestrichen (es heißt nicht mehr: Lasset uns beten für die perfiden Juden), und seit diesem Umschwung in der Kirche spricht sie von einem "nie gekündigten Bund Gottes mit Israel". Das bedeutet, dass die jüdische Religion ihre Gültigkeit und Wahrheit auch heute besitzt. Es gibt aber nicht nur zwei wahre Religionen, sondern ähnliches gilt auch für andere, wie einmal der indische Theologe R. Panikkar sagte: "Ich bin Hindu und katholischer Priester". Wenn Jesus, wie der Epheserbrief lehrt, die Trennwand zwischen Juden und Heiden niedergerissen hat, dann wohl auch die Trennmauern zwischen den Heiden untereinander, d.h. schließlich zwischen Theisten und Atheisten. So muss man erkennen, dass auch der am Sinn Zweifelnde nicht irrt. Gibt es nun mehr als eine Wahrheit (was der Fundamentalist bestreitet), wie ist es dann möglich, nicht in eine Beliebigkeit zu verfallen (wie es der Relativist tut)?

Fragt man danach, welche Religion die Richtigere sei, so stellt man eine unsinnige Frage, wie das Kind, das seine Mutter im Zoo fragt: Welches Tier ist das richtigere - der Elefant, der Tiger oder die Maus? Die Frage hat keinen Sinn. Ich kann nur antworten: Z.B. mein Lieblingstier ist der Bär. Für einen anderen ist es der Löwe usw. Meine Wahrheit kann ich so voll und ganz behaupten, ohne den anderen ins Unrecht zu setzen. Der Autor faßt eine solche Vielfalt als Etappen der Liebesgeschichte Gottes auf, wobei diese nicht zeitlich linear zu verstehen sind, sondern gleichzeitig, jeweils Gott unmittelbar. Das Orchester läßt sich nicht auf eine Flöte reduzieren. Das entscheidende Bild zu diesem Verständnis der Religionen ist das paulinische Wort im Korintherbrief,

... dass wir ein Theater geworden sind.

Einer hat das "große Welttheater" geschrieben, wir sind die Spieler. Der Verfasser muss nicht bekannt sein. Der Gottesleugner ist ein Spieler, der, wie Aida nichts von Verdi weiß, trotzdem aber ihre Rolle gut spielen kann. Oder ein anderes Bild: Das Kind im Mutterschoß kennt diese nicht als Person (vgl. Buddhismus), lebt aber trotzdem von ihr. Die Festbühne ist eine, die einzelnen Schauspieler bedeuten die konfessionellen Wahrheiten. Sie widersprechen sich. Aber zu widersprechen heißt nicht, den anderen ins Unrecht zu setzen oder gar zu verdammen. Wahr ist meine Position, meine Rolle nur dann - ohne dass ich sie verwische oder in eine andere hinein auflöse - wenn ich sie auf den Gegensatz beziehe. Jede Rolle, jede Religion hat ihre eigene "Überlegenheit". Welche hat das Christentum? Kuhlmann meint, dass es zu keinem anderen Sinnentwurf in Konkurrenz steht, sondern allein die Frage beantwortet: Ob Sinn ist. Jesus Christus ist für ihn das Dass des Sinnes, das Ja oder das Doch: Ich halte mein Ja aufrecht. Menschwerdung des letzten Sinnes ist vielfältig möglich, aber wohl kein Gott ohne Mitmenschlichkeit bringt Erlösung. Im Mitmenschen begegnen wir Gott.

Kuhlmann führt nun keine weitere Kriteriologie aus. Die müsste im Dialog der Religionen das Inhumanum in den konkreten religiösen Gestaltungen aufzeigen und eliminieren. So richtig der Grundgedanke des Autors ist, so kann das Bild des "Welttheaters" doch zur Versuchung einer falschen Harmonisierung in Gott werden. Das Spiel kann schlecht gespielt werden, eine Rolle kann das ganze Stück zum Scheitern bringen. Wer meint, dass Gott das Sinnlose, das Böse zum Guten wendet, der träumt von einer "Prästabilierten Harmonie". Das Negative, die Bosheit, das Unheil wird nie und durch nichts sinnvoll. Auch die Vielfalt der Wahrheit muss diesen Widerspruch ertragen und kann ihn nicht in eine Transzendenz auflösen.

Das Buch ist eine Fundgrube an Einfällen, hochinteressanten Gedanken und wertvollen Zitaten. Jeder, der nicht in alten theologischen Schablonen denkt und nicht eine bequeme Welt für sich, sondern eine gerechte Welt für alle will, wird großen Gewinn aus diesem Werk ziehen.

Gotthold Hasenhüttl

imprimatur (Trier), 35. Jahrgang, Heft 8, Dez. 2002, S. 317 f.


Umschlagbild und Beschreibung des Buches

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