Jürgen Kuhlmann

Lied an Sophia

Frühlingslied aus San Pastore (1962 ?)

Melodie: Barcarola aus L'elisir d'amore von Donizetti. Vgl:

http://www.youtube.com/watch?v=bcDrrM0l3CU

oder: http://www.youtube.com/watch?v=FsWXeTqaGp0

oder: http://www.youtube.com/watch?v=BMdlISfbf5c

Ave Jungfrau voll der Gnade,
heil'ge Kirche, hehre Braut,
der ich meines Lebens Pfade
ohn' Bedenken anvertraut:
führ'n durch Dornen sie und Regen,
Dienst an dir sei's in Geduld;
blüht ringsum der Erde Segen,
ist's ein Lächeln deiner Huld.

Presst mir Angst die Seele nieder,
droht das Dunkel um mich her,
sind entfloh'n die lust'gen Lieder,
lastet Schuld und Grauen schwer:
dann leb in mir deinen Glauben,
der die Hölle überwand,
lass den Feind mich dir nicht rauben,
komm und nimm mich bei der Hand!

Will sich Hochmut in mir regen,
kreist um mich allein die Welt,
wähn ich dem mich überlegen,
der auf andern Weg gestellt:
greif zur Nadel, Allerreinste,
schaff dem Blähfrosch ein Ventil!
Wo die Königin die Kleinste,
halt kein Narr sich selbst für viel.

Hascht mein Blick nach andern Frauen,
tritt gleich zürnend vor mich hin.
Wehre mir, auf die zu schauen,
die betört den geilen Sinn.
Manchmal aber - ob gleich lästern,
die nichts wissen - grüße mild
aus der Schönheit deiner Schwestern
deiner Treue reines Bild.

Überfällt ein wildes Sehnen
meine lange Einsamkeit,
träum ich von der einzig Schönen,
die mir ihre Demut weiht:
hilf mir willig weiter warten
ohne Kurzschluss und Gebrumm!
Und inzwischen unsern Garten
grab, so tief ich kann, ich um.

***

All mein Trost, ich weiß nichts weiter,
bleib nur bei mir für und für!
Werde mir zur Himmelsleiter
und zuletzt steh in der Tür.
Herz mein Herz! Mir stockt das Sprechen,
dir vertrau ich ganz und gar.
Wenn mir einst die Augen brechen,
führ den Blinden zum Altar.

***
[Kommentar 1975]

"Hermann nannte Seine Herrin Rose, in vielen wunderbaren Begegnungen und Visionen, meist während seines nächtlichen Wachdienstes, hielt er vertraulich Zwiesprache mit ihr. Der Höhepunk von Hermanns Marienminne aber war die im nächtlichen Chorraum der Abteikirche geschaute geistliche Vermählung zwischen ihm und Maria." ("Die Heiligen", Hg. P. Manns, Mainz 1975, S. 363, über den seligen Hermann Josef von Steinfeld, gest. ca 1250)

Es gibt viele Weisen, den Zölibat aufzufassen. Eine davon drückt sich in diesem Lied aus: Verlobtheit mit Sophia = Maria = Kirche in Person. Wie der Jesus der Historie sich zum Christus des Glaubens verhält, so ähnlich die Mirjam der Historie zur geschaffenen Weisheit (Buch der Sprüche 8,22 ff) und himmlischen Gebärerin (Offb 12). Das Thema ist esoterisch, ein Spott für Heiden, strenge Protestanten und fortschrittliche Katholiken. Anders urteilte C G Jung; für ihn war die Dogmatisierung von Mariae Himmelfahrt (1950) "das wichtigste religiöse Ereignis seit der Reformation". Dabei ist zweierlei auseinander zu halten: a) die Mutter Gottes als lebende Ikone für Gott die Mutter, die schöpferische Liebe; b) Maria als nie gefallene Schöpfung und Urbild des Glaubens. Hier wird sie in dieser ihrer eigenen Rolle angesprochen. Ich kann mir ausmalen, was so mancher abgebrühte Psychologe zu diesem Lied zu sagen hätte. Ich will ihm nicht widersprechen. Sämtliche von ihm etwa konstatierten Mechanismen mögen durchaus vorliegen. Ich wehre mich nur gegen die unkritische Folgerung, damit sei alle Wahrheit meiner Erfahrung abgetan. Glaubt denn ein Chemiker, er habe den Geschmack eines Frankenweines als nichtig entlarvt, wenn er die dabei in seinem Gehirn anfallenden bits eines Tages sauber analysieren können sollte? Ähnlich sind auch bei der Liebesmystik naturwissenschaftlich erforschbare Struktur und unmittelbarer Bewusstseinsinhalt zwei verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit.

[Zusatz 2009: Sehr selten sitze ich schon um halbsechs Uhr in der Küche. Am 29. Januar höre ich im Frühkonzert plötzlich die liebliche Melodie dieses Liedes aus dem Radio perlen und kann das nur als zarten Gruß von weit innen deuten. Es war das opus 1 von Adolf Henselt, seine Klaviervariationen über "Io son ricco e tu sei bella". Auch so einer, der "durch seine spätern Produktionen die anfangs erregten Erwartungen nicht erfüllt" hat, urteilt der Große Meyer 1887 (VIII,387).]


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