Jürgen Kuhlmann

Das Neue Pfingsten gilt weiter!

Trotz, ja: wegen der neuen Erlaubnis der Alten Liturgie

"Ausgenommen die heiligen drei Tage." Leicht zu übersehen ist diese Wendung im päpstlichen Erlaß, der die vorkonziliaren Gottesdienst-Texte wieder erlaubt. Christen wissen aber: Zwischen Gründonnerstag und Ostern schlägt das Herz des Kirchenjahres. Was besagt eine Verfügung, die für diese Mitte der Liturgie die Wiederaufnahme des alten Ritus untersagt? Ich vermute: Statt - wie viele befürchten - die Revolution des Konzils zurückzunehmen, hat Benedikts Meisterstreich sie subtil bekräftigt und läßt doch zugleich eine von ihr verdunkelte Wahrheit der Tradition neu aufleuchten.

Bis zum Konzil betete die Kirche am Karfreitag um die Bekehrung der Juden, bis 1959 gar für "die ungläubigen Juden"; das kränkende Wort "perfidis" war schon vom seligen Papst Johannes XXIII. gestrichen worden. Nach traditioneller Ansicht ist am Karfreitag, als das offizielle Israel Christus verwarf, den Sinn und das Ziel des Alten Bundes, dieser selbst zerbrochen. Hatte Jesus das nicht (im Gleichnis der bösen Winzer - Mt 21,43) vorhergesagt? "Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt." Und im Hebräerbrief (8,13) wird die Prophezeiung des Jeremias verschärft: "Indem er von einem neuen Bund spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist dem Untergang nahe." Noch im Sommer 2007 spricht ein französischer Priester für viele Gleichgesinnte: "Das Judentum existiert nur, weil das jüdische Volk dem unwiderruflichen Bund mit Gott untreu ist, sonst wären sie alle Christen! ... Wenn alle Juden treu ihre Religion praktizierten, würden sie zum ‚Ende des Gesetzes' gelangen, das Christus ist, und wären also Christen. Es gäbe also kein Judentum mehr. Das Judentum als solches ist also nicht heilswirksam."

[Guy Pagès: http://www.theotime.com/regnat/regnat_19.pdf].

Dies war fast zwei Jahrtausende lang die unbestrittene Ansicht der katholischen Kirche. Ihr Antijudaismus war die Hauptursache des mörderischen Antisemitismus. Heute denkt die Kirche nicht mehr so. "Das war eine Revolution", sagte Bischof Wojtyla nach der Rückkehr vom Konzil zu einem Freund. Seither glaubt die Kirche: Gottes Bund mit Israel gilt ungekündigt weiter. Der Juden mangelndes Verständnis dafür, daß ihr erwarteter Messias in Jesus schon irdisch erschienen ist, vernichtet nicht die Wahrheit ihres Glaubens an Gott und ihrer Hoffnung auf das Eintreffen seiner Verheißungen. Jesu Drohung im Evangelium wie das scharfe Urteil im Hebräerbrief stimmen insofern, als für Christen (aus Juden oder Heiden) der Alte Bund sich im Neuen erfüllt hat. Dies ist die Wahrheit der Traditionalisten, sie wird auch in der neuen Liturgie keinesfalls verschwiegen. An Fronleichnam singen wir nach wie vor - auf deutsch nicht mehr in jedem Bistum, lateinisch überall: "Dieser Bund wird ewig währen und der alte hat ein End." Dies ist aber eine rein innerchristliche Sicht, das Heilsgeschick der Juden ist nicht Thema.

Anders beim Gedenken an den Karfreitag. Damals hat sich - für uns - die ungeheure Wende vollzogen: Israel verwarf den Menschen, in welchem Gott einigen Juden und durch sie den Völkern ein neues, unvergleichbar menschlicheres Heil geschenkt hat. Ihnen hat der Erste Bund sich im Neuen erfüllt. Für die anderen Juden ist er darum aber nicht vorbei, sondern gilt unverändert weiter. "Vater, vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun", mit diesem endgültigen Wort hat Jesus seine früheren Drohworte an sein Volk - jetzt am Kreuz, da sie es nicht mehr aufrütteln konnten - ausdrücklich zurückgenommen. Seit Pfingsten tritt Gottes Bund mit der Menschheit seinem Willen gemäß in beiden Gestalten auf. Sie werden innergeschichtlich nie zu einer, sollen aber nicht in Haß gegeneinander wüten, sondern liebevoll miteinander um das Gute wetteifern.

Ein Kernsatz in Benedikts Begleitbrief zum Erlaß heißt: "Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein." Diese Selbstverständlichkeit wird durch die Einschränkung "ausgenommen die heiligen drei Tage" nicht bezweifelt aber präzisiert. Daß der Alte Bund sich für die Christen im Neuen erfüllt hat, diese entscheidende Wahrheit der Tradition wird durch die jetzt erlaubte Rückkehr zur alten Liturgie, die ganz in diesem Zeichen stand, auch für die Gegenwart und Zukunft der Kirche bekräftigt. Anders als die Tradition meinte und, wie wir sahen, Traditionalisten immer noch meinen, bedeutet Gottes Ja zu den Christen aber nicht sein Nein zum Judentum, deshalb wird in katholischen Kirchen auch weiterhin am Karfreitag eben nicht mit der alten Formel um die Bekehrung der Juden gebetet ("Gott, unser Herr, möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen"), sondern alle stimmen ein in das wunderbare Gebet Pauls VI. von 1969: "Laßt uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen will. Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, daß es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen."

Eine letzte Erwägung. Vater, Sohn und Heiliger Geist wirken ewig zusammen, und deshalb auch zu jeder Zeit. Im tiefsten Sinn gibt es kein Zeitalter nur des Vaters. Dennoch darf christlich die Zeit seit Gottes Menschwerdung in Jesus wahrhaft "Zeitalter des Sohnes" heißen. Nicht in mystischer Tiefe aber innergeschichtlich macht es einen Unterschied, ob Gott nur vom Himmel her sich den Seinen offenbart oder auch in einem bestimmten Menschen. Insofern hatte Abt Joachim von Fiore (+1202) nicht unrecht, als er dem Zeitalter des Sohnes den Alten Bund als Zeitalter des Vaters vorangehen ließ. Und - jetzt wird es dramatisch - Joachim hatte gleichfalls darin recht, daß er nach dem Zeitalter des Sohnes ein "Drittes Reich" prophezeite, ein Zeitalter des Heiligen Geistes. Beim Datum hat er sich geirrt, 1260 kam es noch nicht. Auch besteht es nicht, wie der Abt sich vorstellte, in der Herrschaft radikaler Mönche über Kirche und Welt.

Wohl aber macht es (analog zur ersten Großen Wende vor zweitausend Jahren) einen entscheidenden Glaubens-Unterschied, ob Gott nur durch den bestimmten Menschen Jesus und die Seinen sich auf Erden offenbart oder - als die all-umfassende Liebe - jeden Menschen unabhängig von dessen historischer Religion oder Skepsis zum Heil ruft. Der Widerspruch zwischen Judenverachtung und Hochschätzung Israels, zwischen päpstlicher Verdammung (1832) von Gewissensfreiheit als Wahn und ihrer feierlichen Aufwertung zum Menschenrecht: dieser Widerspruch im Selbstverständnis der Kirche greift derart tief, daß unsere neue Klarheit sich nichts Geringerem verdanken kann als einer Neuen Offenbarung des Heiligen Geistes.

Nochmals: Im tiefsten Sinn brauchte es kein Neues Pfingsten, brauchte es auch nicht die neue Offenbarung von Gottes Wort in Jesus. "Ehe Abraham wurde, bin ich" (Joh 8,58). Gott ist nur einer, und immer ganz für jeden da. Wie es aber vor zweitausend Jahren zwischen dem Juden Jesus und dem Christus unseres Glaubens ein geheimnisvolles Ineinander von Kontinuität und Diskontinuität gab, so gilt ein ähnliches Ineinander auch zwischen der Kirche vor und nach dem Konzil. Dies halte ich für den Sinn eines versteckten Zitats in Benedikts wichtiger Rede an die Kurie vom Dezember 2005 (siehe: www.stereo-denken.de/joachim.htm gegen Ende). Der Ausschluß des Karfreitags aus der Wiederzulassung der alten Liturgie bestätigt diese Vermutung. Das von Johannes XXIII. erflehte und im Konzil uns geschenkte Neue Pfingsten gilt!

15. Juli 2007

Veröffentlicht (leicht gekürzt) in Kirche In (Wien) 21/9 (Sept. 2007),43-45


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