Jürgen Kuhlmann

Kleines CREDO für Zeitgenossen


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Et in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum
Und an den einen Herrn Jesus Christus Gottes eingeborenen Sohn

Jesus heißt wörtlich: Gott rettet, ist Heil, macht heil.

Christus: Griechisch für hebr. Messias: der Gesalbte, weil in ihm König wie Priester, die irdischen Gesalbten, ihre Erfüllung finden. Mit den Juden glauben wir Christen, daß der Messias kommen wird ("venturus est"), anders als sie glauben wir, daß er auch schon gekommen ist. Jene Gemeinsamkeit wiegt schwerer als dieser Gegensatz.

Gottes einziggeborenen Sohn: Der Begriff stammt aus dem Schluß des Johannes-Prologs (Joh 1,18). Wie aber? Sind wir nicht auch Kinder Gottes? Doch, nicht neben Christus aber, sondern in ihm, als selbstbewußte Glieder jener überkosmischen All-Person, deren "Haupt" (vgl. Eph 4,15), besser: deren ICH in Jesus einer von uns geworden ist.

Die Antike kannte noch nicht unseren hochabstrakten Begriff "das Ich". Dafür sagte man "Haupt", auch wir lokalisieren ja unser Ich meist im Kopf. So geriet man freilich auf die Bahn autoritärer Zweideutigkeit. Denn während das Ich unmittelbar in allen Gliedern lebt (so daß zwischen meinem Ich und meinem Finger jede Rivalität von vornherein ausgeschlossen ist), steht das Haupt als ein Glied neben und über den anderen, kann seine Eigeninteressen gegen die anderer Glieder verfolgen und tut das im Großen durchwegs: von lat. caput kommt frz. chef. So wich - wegen einer noch unangemessenen Sprache und durch das nachkonstantinische Staatskirchentum mit dem Pantokrator als himmlischem Garanten des irdischen Kaisers - die von den ersten Christen gefühlte innige Verbindung Christi mit uns seinen Gliedern einem distanzierten Autoritätsverhältnis voller Scheu und Ressentiment. Hat der Evangelist Johannes das vorausgeahnt und deshalb Christus nicht Haupt genannt, sondern sich des Weinstock-Gleichnisses bedient: weil ein Weinstock gerade keinen Kopf hat?

In mir leben viele Organe, mit voneinander getrenntem Bewußtsein. Ein Finger spürt rauh oder glatt, versteht aber nichts von blau und rot oder moll und dur. Finger, Auge und Ohr haben aber eines gemeinsam: sie sind ich. Meist denken sie daran nicht, sind voll auf Flächen, Farben, Töne konzentriert. Immer wieder einmal aber durchfährt sie der Blitz der Selbsterkenntnis: Wer da spürt, sieht, hört: das bin ich! Geheimnisvolles Ich. In allen Organen lebt es, in einigen erlebt es sich auch. Ist es selbst auch ein Organ?

Einerseits nicht, vielmehr ist es die allgemeine und zugleich personhafte Wirklichkeit aller Organe zusammen und jedes einzelnen für sich. Eben ich, mein Selbst. Und doch bin ich in mir auch ein bestimmtes Organ. Nicht von Anfang an. Solange ich ein Baby war, habe ich schon erlebt, auch mich erlebt, Wörter aber gab es noch nicht für mich. Später nannte ich mich, wie die anderen Leute, bei meinem Namen. Bis irgendwann das ungeheure Ereignis geschah und ich einsah: Ich bin ich. Seither gibt es mein Ich nicht nur als den Totalsinn all meiner Organe, sondern auch als abgegrenztes Sonderorgan neben den anderen Organen: eben jene exakt bestimmte Struktur in meinem Gehirn, in der das Wörtlein "ich" codiert ist.

Sie ist zwar unterschieden von Finger, Ohr und Auge, hat eine nur ihr eigene Würde, weil sie das Ganze bedeutet, jenes Ich, das alle Organe umfaßt und beseelt. So verweist sie auf den Menschen Jesus: Nur in ihm erscheint Gott in Person. Entscheidend für mein Selbstgefühl ist aber - solange ich gesund bin - nicht was ich bedeute, sondern was ich bin! So unteilbar einfach ist das Ich, daß jedes Organ, obwohl es an ihm nur teilhat, doch ein bestimmter Lebensvollzug des ganzen Ich ist. Vergewissern Sie sich: Ich selbst, nicht nur meine Augen, sehe was mir vor Augen ist; ich selbst höre, was meine Ohren vernehmen; ich spüre, was meine Finger tasten. Solcher geistige Sprung nach innen hilft zum unentfremdeten Verständnis der Inkarnation. Obwohl das Wort-Organ "Ich" nicht Finger, Auge oder Ohr ist, sind doch diese drei und überhaupt alle Organe nichts anderes als ich. Sie können auf das Ich nicht neidisch sein: weil sie es selber sind: "Christus lebt in mir" (Gal 2,20).

Et ex Patre natum ante omnia saecula
aus dem Vater geboren vor aller Zeit

Vor aller, in aller, nach aller Zeit: Die Ewigkeit hat keinerlei zeitlichen Bezug auf die Welt, so wenig Verdis Bewußtsein sich innerhalb der Aida-Zeit uhr- und kalendermäßig festlegen läßt. Vor der geschaffenen Zeit lebt des Schöpfers Idee, in ihr sein Wirken, nach ihr sein kritisches Urteil, in allen drei Richtungen glauben wir an Christi weltüberlegene Person.

Deum de Deo, lumen de lumine,
Deum verum de Deo vero.
Genitum non factum,
consubstantialem Patri
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott.
Gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater

Ungeheuer anstößige Formeln sind das, gerade die frömmsten Juden und Muslime beschuldigen uns Christen gottloser Vielgötterei. Und in der Tat: Mehr als den einzigen unendlichen HERRn gibt es nicht. Nur ist ER kein Seinsklotz, hat sich uns vielmehr offenbart als in sich zugleich unendlich gespannt und unendlich versöhnt. Die Dreifaltigkeitswahrheit ist allerdings nicht als autoritäre Offenbarung vom Himmel gefallen, um in Form unbegriffener Sätze von der Kirche verkündet zu werden. Sondern die Gemeinschaft der Glaubenden hat allmählich erkannt, daß die sie begründende Tatsache, Jesus Christus selber, nur verstanden werden kann, wenn die Wirklichkeit als trinitarisch aufgefaßt wird. Begleiten wir deshalb den Apostel Johannes durch sein Leben und verfolgen wir, wie sein Bewußtsein sich "trinitarisiert".

Der Knabe schon betet zum Gott seiner Väter. Er hat von den Großtaten des geschichtsmächtigen Herrn gehört. Beim ersten Tempelbesuch mag ihm aufgegangen sein, wie strahlend herrlich Jahwe ist. Zusammen mit anderen Betern rezitiert er die alten Psalmen und erlebt, wie der gewaltige Jemand, zu dem er spricht, wirklich da ist, ihm zuhört, ja antwortet auf eine zugleich unverkennbare und unbeschreibliche Weise. In solchen Augenblicken weiß Johannes (wenngleich er es nicht so philosophisch ausgedrückt hätte): ich befinde mich der absoluten Wirklichkeit gegenüber: DIR, mein unendliches DU.

Eines Tages trifft er Jesus. "Und sie gingen mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde." Wer ist dieser Mann? Ein guter Mensch, ein Heiliger, ein Umstürzler, ein Prophet, ein Genie? All das ist er. Aber nicht nur das. Johannes und seine Freunde spüren: Jesus ist einfach ganz anders als sämtliche Menschen, die sie kennen: selbstsicher und freundlich, unerbittlich und verständnisvoll, und alles auf eine zugleich erschreckende und beseligende, sozusagen übermenschlich menschliche Weise. Nicht Idealisierung eines Menschen, nicht Vermenschlichung einer Idee, sondern Nachhall dieser Grunderfahrung sind die gewaltigen Aussagen, die das vierte Evangelium Jesus in den Mund legt: Ich bin das Licht der Welt; ICH bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; ihr seid von unten, ICH bin von oben; ehe Abraham ward, bin ICH. Wer solches über einen Menschen sagt, gibt zu verstehen: in ihm ist die absolute Wirklichkeit gegenwärtig. In Jesus ist also Gott selbst auf menschliche Weise in der Welt. Wie aber? Gleich dem Jünger betet doch auch Jesus zu Gott, ganze Nächte hindurch sogar. Seine Freunde erleben, wie Jesus betet. Nichts natürlicher als das, und doch wird damals das Bewußtsein der Menschheit derart in seiner Tiefe erschüttert, daß es nie mehr zur Ruhe kommen wird. Jesus, in dem Gott selbst anwesend ist, betet zu Gott als einem Anderen! Also ist der eine Gott in sich selbst zugleich zwei! Und doch ist es ein und derselbe Gott. Eins und zwei sind also, auf das Absolute angewandt, keine Widersprüche.

Damit aber nicht genug. Noch sind beide Momente des Absoluten dem Johannes äußerlich. Gott ist ein Anderer, Jesus ist ein Anderer. Aber "es ist gut für euch, daß ich fortgehe ... sonst käme der Beistand nicht zu euch". Am Karfreitag steht Johannes unter dem Kreuz. Ist jetzt alles aus? Zunächst scheint es so. Doch dann kommt alles ganz anders. Zusammen mit den übrigen hört er: "Empfanget den Heiligen Geist". Und plötzlich spürt Johannes das Grundwasser unendlicher Begeisterung in der Tiefe seines Gemütes rauschen, steigen und sein Herz mit Zuversicht erfüllen. Auf einmal ist er selbst dabei, vernimmt Jesu Selbstbewußtsein und Gespräch mit dem Vater nicht mehr als staunender Fremder von außen, vielmehr hat die - jeden Gegensatz einschmelzende - unendliche Einheit der absoluten Polarität sich in den Sinn des Glaubenden hineinverlegt und erfüllt ihn ganz mit sich selbst: der "dritten" Seinsweise Gottes, als Liebes-EINS unverwechselbar mit dem DU (des Vaters) und dem ICH (des Sohnes). Seit Jesus uns genommen ist, seit wir den heiligen Geist seiner Einheit mit Gott nicht mehr auf seinem Gesicht leuchten sehen, seither überfällt er uns von innen als strahlende Gewißheit: auch ich, diese(r) Endliche, bin eins mit dem Unendlichen; denn ich lebe in Christus wie im Weinstock die Rebe, und Christus ist kein anderer als in Person das ewige ICH, bezogen auf das ewige DU und mit ihm ewig EINS.

per quem omnia facta sunt
durch Ihn ist alles geschaffen

In jedem Augenblick, da Gottes Sohn durch die Zeit schritt, hat seine unsterbliche Lebensenergie eben diesen Augenblick sofort von der Tyrannei der Vergänglichkeit erlöst. Mehr noch: Christi Sieg über den Tod hat rückwirkend alle schon abgelaufenen Jahrmillionen ergriffen bis zum Beginn der Schöpfung; das ist der Sinn jener stolzen Worte im Kolosserbrief: "Er ist ... der Erstgeborene der ganzen Schöpfung, denn in Ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden" (1,16). Von Anfang an gilt der Ostersieg, auch vom Anfang deines und meines Menschenlebens an, und bis zu seinem Ende und bis zum Ende des Planeten Erde und jedes anderen Planeten im Universum, der geistiges Leben trägt.


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