Jürgen Kuhlmann

Jocki und der Innenseher
Eine Abenteuergeschichte
für das Kind
im Mann und in der Frau


7


Die Friedenskugel

"Heute abend erreichen wir die erste Gilbertinsel. Dort wartet eine besondere Attraktion auf gute Taucher. Zwei Personen dürfen die Unterwasserfriedenskugel erleben. Natürlich wollen Sie wissen, was das ist. Leider muß ich Ihnen sagen: Ich weiß es selbst nicht genau. Ich hatte das Vergnügen noch nicht, und die es hatten, dürfen nichts sagen. So steht es im Vertrag. Ich weiß nur so viel: Früher gab es auf dieser Insel schrecklich viel Streit. Sie ist eine Art Südsee-Korsika, mit Blutrache und so. Dagegen wollte der jetzige Fürst etwas tun. Deshalb ließ er die Kugel bauen und in einer Bucht verankern. Sooft dann irgendwo eine Fehde allzu intensiv wird, müssen die Hauptstreithähne kommen, in Taucheranzüge steigen und um die Kugel schwimmen. Danach haben sie sich meistens miteinander versöhnt, und heute ist Tokinugapa das friedlichste Reich, das man sich vorstellen kann. Das Geheimnis der Kugel darf nicht verraten werden, bisher hat das auch geklappt, die Leute hier kennen noch Ehre. Nicht alle Völker sind runterentwickelt" - "Sie möchten wohl lieber einen Einbaum kommandieren," platzt Lady Elvira dem Kapitän in seine Rede, der schaut mit hilflosem Blick in die Runde, als wollte er sagen: wozu? Auch im Einbaum könnten ja solche Damen sitzen wie Sie. Laut fährt er fort: "Weil unsere Reederei dem Fürsten von Tokinugapa gute Dienste leistet, gewährt er ihr die Gnade, daß bei jeder Kreuzfahrt zwei Passagiere diese heilsame Erfahrung machen dürfen. Wen wollen wir wählen?"

Zahlreiche Blicke richten sich auf mich. Und auf Lady Elvira. Unsere Streitgespräche sind seit Wochen der Spaß des Publikums. Sie glaubt, daß ihre beiden Dackel eine Seele haben, ich bin meiner Seele noch nie begegnet. Politisch ist sie rechts, und überhaupt ist sie eine Frau. Bald füllen unsere Namen den Raum, immer lauter lacht der Saal. Der Kapitän gebietet Schweigen. "Eine echte Wahl," schmunzelt er, "ganz ohne Formularkram, wie früher in den guten Stammeszeiten. Nehmen die Gewählten die Wahl an?" Lady Elvira erhebt sich und nickt. "Nur wenn niemand sich übergangen fühlt," werfe ich ein. "Wer möchte noch kandidieren?" Keiner rührt sich. "Dann nehme auch ich die Wahl an."

Das also soll die berühmte Friedenskugel sein? Ich sehe nichts Besonderes. Seit zehn Minuten schwimmen wir in unseren Taucheranzügen um das Südseewunder herum. Es ist eine ganz gewöhnliche Kugel, etwa 4 Meter im Durchmesser. Ein Teil ihrer Oberfläche leuchtet rot, der andere ist schwarz. Libellen entdecke ich, Schmetterlinge, Vögel; eine riesige Spinne frißt eine kleine auf - widerlich! Trotzdem: Zusammen mit der Schwerelosigkeit und der Stereomusik in meinen Ohren ergibt die leuchtende Kugel einen aparten Gesamteindruck, an den ich mich bestimmt gern erinnern werde. Deshalb betätige ich meinen inneren Zeitspreizschaltknopf und erlebe bewußt das Heute jetzt schon als das Gestern von morgen: Jahrzehnte später, vielleicht im Altersheim, will ich an diesen Augenblick zurückdenken und auch daran, daß ich damals ans Altersheim gedacht habe, die Beziehung beider Zeitpole wird dann dieselbe sein wie jetzt, nur daß jetzt der eine Pol gilt und dann der andere; das ist aber nur der äußere Schein, in der inneren Wahrheit ist jetzt wie dann kein einzelner Pol wirklich, sondern eben ihre Beziehung zueinander, mein Leben. So schlage ich der Vergänglichkeit ein Schnippchen: mag ich auch als ganzer nichtig sein, die einzelnen Augenblicke sind es nicht.

Da, Lady Elvira schwimmt davon, auch auf mich wirkt die laue Südsee immer kühler, also ein letzter Blick auf das rote Leuchten, und ab. Die freundliche Schöne von vorhin hilft mir aus dem Anzug und dann ist Audienz, nicht beim Fürsten, es wird wohl ein Tourismusmanager sein. "Hat es Ihnen gefallen?" fragt er Lady Elvira. "O ja, die grüne Kugel ist recht eindrucksvoll." "Grün?" platze ich heraus, "wieso grün? Die Kugel ist rot." "Na hören Sie, ich hatte immer gemeint, Farbenblinde sähen nur grau. Daß sie die Farben falsch sehen, ist mir neu. Die Kugel ist grün. Zu giftig, wenn Sie mich fragen, ich hätte ein dezenteres genommen, aber grün. Grün und schwarz, sieht tatsächlich nicht schlecht aus." "Aber Lady Elvira, wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ist das hier vielleicht ein psychologisches Experiment? Wird am Ende mein Aggressionspotential gemessen? Wieviel Honorar gibt man Ihnen für Ihre Rolle? Sie wissen genau so gut wie ich, daß die Kugel rot leuchtet. Rot! Wäre die Kugel eine Ampel, dann bliebe der allerbetrunkenste Fahrer stehen. Also streiten Sie nicht länger herum, sonst erinnern Sie mich noch an die garstige Spinne drunten auf der Kugel. Ich lasse mich aber von niemandem fressen, auch von Ihnen nicht!"

"Fressen? Das wird ja immer lustiger! Wo haben Sie denn Ihre Augen gehabt? Die große Spinne frißt die kleine doch nicht, im Gegenteil, die beiden lieben sich. Haben Sie das Hochzeitsbild etwa nicht erkannt?" So eine Gans. Als könnte ich eine kannibalische Szene nicht von einer amourösen unterscheiden! Ich wende mich an unseren Gastgeber, der bisher keine Miene verzogen hat. "Sagen Sie, Mister ..." "Miririnipiisi, Sir." "Also, Mr. Miririnipiisi, sagen Sie: Wie ist die Kugel, grün oder rot?" "Wenn ich Ihnen das sagen könnte, glauben Sie, die Friedenskugel würde dann ihren Namen verdienen? Dann wäre doch einer von Ihnen unglücklich, würde an sich selber zweifeln und bloß darauf lauern, beim nächsten Mal noch kräftiger recht zu behalten, es dem andern dann aber richtig zu zeigen. Nein, so gäbe es keinen Frieden. Ich habe einen besseren Vorschlag. Ich lasse Ihnen ein heißes Getränk bringen und Sie machen sich die Mühe, nochmals ins Wasser zu steigen. Kann sein, die Kugel löst ihr Geheimnis selbst. Sind Sie einverstanden?

Ich auf jeden Fall, meine Gegnerin auch. Sie bestellt sich eine Hühnerbrühe, ich wünsche mir etwas Unbekanntes. In meinem Alter einen neuen Geschmack zu entdecken, das ist immer ein großer Moment. Der letzte waren, glaube ich, die Kichererbsen. Das Gebräu schmeckt aufregend, unbeschreiblich - wie alles; oder haben Sie schon einmal den Geschmack einer Orange beschrieben?

Es ist nicht zu fassen. Die Kugel leuchtet jetzt grünschwarz. An sich wäre das ja leicht zu erklären, es gibt farbige Lampen. Aber neben mir schwimmt wieder Lady Elvira und wird vermutlich behaupten, die Kugel sei jetzt rot. Auch die Szene der beiden Spinnen hat sich verwandelt. Kein Zweifel: Sie lieben sich. Von Fressen keine Spur. Wenn die Lady vorhin dasselbe sah wie ich jetzt, hatte sie tatsächlich recht, mein Widerspruch mußte sie kränken. Ob sie umgekehrt endlich einsieht, daß auch sie mir unrecht tat? Eine seltsame Kugel, das.

Wieder sitzen wir mit Mr. Miririnipiisi in seinem Büro. "Jetzt kennen Sie also das Geheimnis der Friedenskugel." Tatsächlich, sie verdient ihren Namen. Lady Elvira und ich sind still, haben nichts mehr gegeneinander. Ich weiß nur, daß die Kugel zuerst rot war und dann grün; sie besteht darauf, daß es umgekehrt war. Gewiß könnten wir uns immer noch streiten, haben aber keine Lust mehr. Wenn die Kugel samt ihren Spinnen mal so ist und mal anders, ist sie ja auch vielleicht für den einen so und für den anderen anders.

"Ahnen Sie die Lösung?" Mr. Miririnipiisi fragt es lächelnd, geht zu einem Schrank, stellt eine Glaskugel zwischen uns auf den Tisch und drückt einen Schalter. Grün und rot leuchtet die Kugel, ich erkenne die Libellen, Schmetterlinge und Vögel. Die grüne Riesenspinne liebt die kleine, die rote frißt sie auf. "Am Modell verstehen Sie das Prinzip. Weder rotschwarz ist die Kugel noch grünschwarz, sondern rotgrün. Schwarz erscheint bloß jeweils die Gegenfarbe Ihrer Taucherbrille! Sie wissen doch: Rotes Glas läßt kein Grün durch, und umgekehrt. Lange mußten unsere Optiker tüfteln, bis aus den schwarzen Teilen alle Muster total verschwunden waren. Schließlich haben sie es geschafft.

Deshalb hatte jeder von Ihnen recht. Und unrecht, weil er dem anderen nicht glaubte. Genau das ist die Idee unseres Fürsten. Die Welt ist wirklich so, wie jeder Mensch sie sieht. Denn für uns ist die Welt gemacht, für uns Menschen, für jeden von uns. Darum habe ich recht, und das Recht, von ihr so zu erzählen, wie sie sich mir zeigt. Aber: jeder andere hat dasselbe Recht. Und auch recht. Und weil wir uns streiten (denn die Welt ist unserem kleinen Verstand zu groß), sollen wir uns gegenseitig unsere Brillen leihen, damit wir einander und die Welt besser verstehen. Eine ebenso einfache wie schwierige Idee, wie Sie sehen. Mit ihr hat der Fürst unser Inselvolk so erzogen, daß wir eines der friedlichsten Völker der ganzen Erde geworden sind."

"Aber das Geheimnis?" Lady Elvira scheint zwar erleichtert, während der Erklärung hat sie mich angestrahlt, als wollte sie sagen: Welch ein Glück, wir sind doch nicht gestört! "Der Kapitän hat uns doch erzählt, daß kein Eingeweihter das Geheimnis verraten darf. Wie kann der Fürst sein Volk mit einer Lehre erziehen, die niemand kennt?" "Muß ich das einer Dame wirklich erläutern?" Mr. Miririnipiisi zwinkert mir zu und ich glaube, ihn zu verstehen. Natürlich weiß der Fürst, daß ein solches Geheimnis sich nicht bewahren läßt. Wird irgendeine Ehefrau Ruhe geben, bevor ihr Mann sie aufklärt? Bestimmt nicht. Jede Frau, jeder Mann und die meisten Kinder auf der Insel kennen das Geheimnis, nur: offiziell weiß es niemand. Das genügt. Hier herrscht eben noch Zucht, würde der Kapitän sagen.

"Ach so, das ganze Geheimnis ist bloß Theater. Na ja. Ist soviel Harmonie aber nicht schrecklich? Streiten ist doch schön. Wenn ich bei jedem Streit dauernd denken muß: meine Welt sieht grün aus und deine halt rot, das kommt mir vor wie, wie - wie eine Wasserpistole, die auch hinten ein Loch hat. Da fehlt der rechte Druck, schnell ist sie leer, und du bist selber genauso naß wie dein Gegner. Ist das nicht ein affiges Spiel?"

"Nicht wenn der andere auch so eine Pistole hat. Aber ich stimme Ihnen zu, Mylady, auch Sie haben recht. Mr. Miririnipiisi sagt es ganz unspöttisch, obwohl mir zum Lachen ist. "Unsere Kugel ist anspruchsvoll, sie gilt auch für sich selbst. Harmonie ist nur die halbe Wahrheit, Konflikt die andere Hälfte. Und wenn Sie für den Konflikt von Harmonie und Konflikt sind, wird ein rechter Friedenskügler Ihnen gerade nicht widersprechen, soll ich sagen weil oder obwohl wir für die Harmonie von Konflikt und Harmonie eintreten. Beides ist dasselbe, bloß anders gesehen. Was meinen Sie, kann eine Figur zugleich kreisrund und viereckig sein?"

"Das aber nun wirklich nicht!" Beide protestieren wir. "Doch. Schauen Sie dort auf die Wand." Er knipst einen Schalter, und die Wand wird strahlend weiß, nur in der Mitte erscheint ein schwarzes Quadrat. "Sehen Sie? Und jetzt" verwandelt es sich in einen Kreis. "Kunststück!" rufe ich aus, "Sie haben zwei verschiedene Figuren projiziert." "Nein, eine." Er greift in den Apparat und holt - was heraus? Einen klobigen alten Porzellanbecher! "Von oben rund, von der Seite eckig, sehen Sie? Es kommt eben immer darauf an, wie man alles betrachtet. Ein Kreis kann nie quadra-tisch sein: das ist die Wahrheit der Konfliktpartei. Aber der wirkliche Becher ist beides, insofern haben die Harmonieleute recht. Im Grunde doch ganz einfach, nicht wahr?"

Lady Elvira schaut mich an und ich sie. Die Worte sind uns ausgegangen. Diese Südseephilosophie wirbelt einen ganz schön herum, bis man nicht mehr weiß, ist es Tag oder Nacht? Stimmt eigentlich. Da ist es ebenso. Der Tag kann nie Nacht sein, aber die Erde ist beides, in jedem Augenblick! Indien und Mexiko sind nie im gleichen Licht und immer dieselbe Erde. Es ist Tag, sagt der eine. Es ist Nacht, sagt der andere. Einer muß unrecht haben, meint ein Dritter. Unrecht hat aber nur er. Denn man telefoniert zwischen Indien und Mexiko. Der Globus dreht sich schneller und schneller, bis er surrt. Jeder hat recht keiner hat recht wir alle haben recht und ich bin dabei komm Lady tanz mit ...

Drehe ich mich, dreht sich die Welt? Schwindlig blinzelt Jocki, doch unbewegt saust das Kettenkarussell auf dem Bild an der Wand. Behutsam nimmt er den Helm ab und wischt sich die Stirn: "Von wem ist denn dieses komische Band, Friedrich?" "Von einem Tonmeister. Als Kind hatte er es besonders schwer, weil seine Eltern in einer extremen Mischehe lebten. Der Vater war Pfarrer, die Mutter hat alles Kirchliche immer bloß ausgelacht, weil sie nämlich selbst eine Pfarrerstochter war und den ganzen Klimbim - sagte sie - früh durchschaut hatte. Jetzt stell dir den armen Egon vor. Wenn der Vater das Tischgebet anfing, hat die Mutter natürlich nicht gestört, dafür war sie viel zu wohlerzogen. Geschaut aber hat sie so, daß die Kinder grinsen mußten. Und so ging es bei vielen Dingen. Die Eltern müssen sich toll geliebt haben, sonst hätten sie die dauernde Widersprecherei nicht ausgehalten. Immer wenn sie hü rief, schrie er hott, sein Ja wurde von ihrem Nein durchkreuzt. Ein Kind will ja aber doch beiden Eltern glauben. Was sollte Egon machen?"

"Was wir alle tun: Seinen eigenen Weg suchen." "Das tat er auch. Gerade weil er mitten im Sinnkrieg aufwuchs, hatte er eine irre Lust auf Frieden. Nicht auf faulen Frieden, wo einem alles egal ist, dafür hat er seine Eltern zu sehr geliebt. Er mochte nicht glauben, daß ihre Streiterei sinnlos sei. Also ist er Tonmeister geworden." "?" "Warum? Das hat er mir selbst erklärt. Was ist der Witz beim Stereo?" "Na ja, daß es zwei Lautsprecher gibt." "Genau. Und die strahlen gegensätzliche Signale aus. Wenn auf dem elektrischen Weg irgendwo ein Kurzschluß passiert, so daß beide Lautsprecher genau dasselbe liefern, dann ist es mit dem Stereo vorbei, du hörst bloß langweiliges Mono. Beim Kopfhörer merkt man das besonders deutlich. Dieses Experiment mache ich manchmal: schöne Stereomusik, dann schalte ich auf Mono um, und weg ist alles Leben, bloß ein öder Tonbrei bleibt."

"Du meinst: Egon hat begriffen, daß auch seine Eltern solche Stereo-Lautsprecher sind. Keine schlechte Idee." "Ja. Er nennt seine Philosophie Stereo-Denken, neuerdings Stereo-Leben. Paß auf, daß es keinen Kurzschluß gibt, rät er allen Leuten, wehe, die Widersprüche lösen sich dir auf, dann bist du ein Monomensch und kannst dich vergessen. Ganz trennen darfst du sie aber auch nicht, sonst bist du gleichfalls ein Monomensch, wie jeder Stereolautsprecher für sich allein. Auseinander- und zusammenhalten muß man die Signale, nur dann denkt man richtig." "Oho! Das heißt aber doch" - Jocki ahnt, daß ihm etwas ungeheuer Wichtiges dämmert - niemand kann sagen, was er denkt. Denn wer spricht, ist immer bloß ein Lautsprecher, also mono. Und denken soll er stereo. Ist das nicht schlimm?" "Nur für Rechthaber. Dazu ein paar markige Sprüche: Wer nichts denkt als was er sagen kann, ist ein Schwätzer. Wer sagt, was er nicht denkt, der lügt. Ein Vernünftiger denkt, was er sagt, aber oft heimlich auch alle möglichen Gegenteile davon, die er gestern gesagt hat oder morgen sagen wird, zum Verdruß der Monoleute." "Dann sollte man doch lieber überhaupt nichts mehr sagen! Wenn +a wahr wäre, -a aber auch, käme man immer zum Ergebnis Null!"

"Nur Monoleute. Auf derselben Denklinie, in genau derselben Sprache, nur da heben die Widersprüche sich gegenseitig auf. Beim echten Stereoleben gibt es das aber nie. Denk an Egons Eltern. Wenn der Vater 'Kirche'sagt, so heißt das Wort für ihn: geistige Heimat, Glaubensgemeinschaft durch die Jahrtausende, Verbundenheit mit Jesus und vielen großartigen Menschen, von Paulus über Franziskus und Elisabeth bis Bonhoeffer und Mutter Teresa. Dasselbe Wort bedeutet für die Mutter: Langeweile im Zwangsgottesdienst, heuchlerische Kanzelworte, gerissene Machtpolitik unter dem Mantel der Heiligkeit. Du siehst, hier ergeben plus a und minus a nicht Null, sondern Stereo-a. Und die Kirche ist nur ein Beispiel; überhaupt alles Wichtige ist ohne Stereo-Denken nicht zu verstehen. Das ganze Leben, meint Egon, kommt ihm vor wie seine Aufnahmeprüfung zum Tonmeisterstudium. Da muß ein Bewerber stereo hören und sehen können. Bei der Lebensprüfung, die Tag für Tag passiert, fallen beide Typen durch: der Fanatiker, der bloß einen Kanal vernimmt, und der Wurschtige, dem die Widersprüche zum Monobrei verschwimmen."

"Stereo-Sehen, da fällt mir die Antwort des Physiklehrers ein, der den Schülern das plastische Sehen erklärte. Denkt an den Riesen Polyphem, sagte er, der hatte nur ein Auge, deshalb hat er seinen Felsbrocken daneben geworfen, und das Griechenschiff entkam. Aber Herr Professor, meldete sich ein Schüler, das Auge hatte Odysseus ihm doch ausgebohrt! Ja, das kommt auch noch dazu, antwortete der Lehrer. Im Praktischen sind die Monoleute gar nicht so schlecht. Muß der Bogenschütze beim Zielen nicht sogar ein Auge schließen? Ja, und das bringt mich auch auf einen markigen Spruch: Wer deshalb, weil er sein Gedachtes nicht ganz sagen kann, lieber gar nichts sagt, ist ein Feigling. Vielleicht hatten die Nazis ja, theoretisch, zu 5% recht und die Stasi zu 10%. Ihre Taten aber waren hundertprozentig böse und deshalb mußte man eindeutig gegen sie sein! Egons Südsee-Friedenskugel ist eine schöne Idee, aber so einfach lassen die Probleme sich nicht lösen."

"Das sagt er doch selbst! Ein Quadrat ist nie rund, böse ist nie gut. Wirklich ist auch das Böse, deswegen ist es aber doch nicht gut! Allerdings können wir das Böse gründlicher besiegen, wenn wir die Bösen spüren lassen, daß wir auch ihr verborgenes Gutes anerkennen. Ist ihre böse Fresse vielleicht bloß eine Maske, hinter der sich ein erschrockenes Kindergesicht versteckt? Solche Hoffnung will die Friedenskugel in uns stärken. Scheißliberale Waschlappen dürfen sich auf sie nicht berufen."

"Ach, Friedrich, für heute langt es mir. Aber eine Stereo-Spannung bist du mir noch schuldig: die zwischen knallrot und hellrot. Was hellrot sein soll, kann ich mir überhaupt nicht denken. Bis nächsten Mittwoch also!"


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