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"Liebe ersehnt Persönlichkeit; deshalb ersehnt Liebe Teilung. Instinktiv freut sich das Christentum, daß Gott das Universum in kleine Stücke gebrochen hat, weil es lebendige Stücke sind. Instinktiv sagt es lieber 'Kindlein liebt einander,' als einer großen Person zu sagen, sie solle sich selbst lieben ... Die östliche Gottheit gleicht einem Riesen, der Bein oder Hand verloren hat und immerzu danach sucht; die christliche Macht hingegen ist wie ein Riese, der sich in seltsamer Großzügigkeit die rechte Hand abschneidet, so daß sie von sich aus ihm die Hand geben kann" [Gilbert Chesterton, Orthodoxy, London 1909,243].

Ein schöner Gedanke, und auch ein wahrer, sofern wir ihn präzisieren. Nicht der Osten denkt in den Begriffen der Selbst-Identität; Shankaras großer Gegenspieler Ramanuja, der Künder der Liebesmystik, war gleichfalls Inder. Und nicht das Christentum denkt dualistisch; Meister Eckhart tat es nicht und war der weisesten Christen einer. Recht hat Chesterton aber damit, daß die Identitätsmystik allein nicht genügt. Dreieinigkeit heißt auch absolute Spannung, unendliche Distanz, Fremdheit bis zum Letzten. "Mein Gott, mein Gott, wozu hast Du mich verlassen," ohne den Abgrund des Karfreitags kein Osterbekenntnis "Mein Herr und mein Gott". Wohl ist der Handschlag zwischen Gott und seinem Du derart intensiv, daß beide Hände zu einem Leib verschmelzen - tiefstes Geheimnis der Ehe - auch abgesehen von der geschöpflichen Vielheit ist der Du/Du-Gegensatz aber eine innergöttliche, ewige Polarität. An ihr hat der Liebesmystiker teil.

Was unterscheidet, in der Du-Dimension, die Religion des Werdens von der religiösen Mystik des Seins? Das heilsgeschichtliche Werden erfährt einen bestimmten göttlichen Anspruch, der den Hörer in Gegensatz zu anderen bringt, die widersprüchliche Gottesworte vernehmen. Solcher Kämpfe ist die Geschichte der Religionen voll. Juden und Christen, Muslime und Bahai; Katholiken, Orthodoxe und Protestanten; Benediktiner, Franziskaner und Jesuiten; rechte und linke Jesuiten: bis in Familien und Gemeinden hinein zeigt Gott den einzelnen sich anders. Schaut man nur nahe genug hin, ist jede Ehe eine Mischehe. Das übliche Toleranzprinzip soll ein Jesuit im Gespräch mit einem Pastor klassisch formuliert haben: Bleiben wir dabei: Sie dienen Gott auf Ihre Weise und ich auf seine.

Anders fühlt der religiöse Mystiker. Gewiß fragt auch er nach Gottes konkretem Willen und müht sich um Gehorsam; ohne Werden kein Sein. Immer wieder aber tut sich ihm mitten in der Geschichte die überzeitliche Herzenskammer auf, wo DU und ICH einander in wechselseitiger Liebe begegnen wollen: in mir, diesem, und nicht minder in dir, meinem irdischen Gegner. Die innerste Wahrheit der vielen religiösen Herr/Knecht-Beziehungen ist das innertrinitarische Freund(in)/Freund(in)-Verhältnis, an dem jede(r) Glaubende Anteil hat - fromme Mystiker in ausdrücklicher Klarheit. So hat Teresa von Avila die Stimme ihres Geliebten vernommen:

De tal suerte pudo amor,
Alma, en Mí te retratar,
Que ningún sabio pintor
Supiera con tal primor
Tal imagen estampar.

Fuiste por amor criada
Hermosa, bella, y así
En mis entrañas pintada,
Si te perdieres, mi amada,
Alma, buscarte has en Mí.

Que Yo sé que te hallarás
En mi pecho retratada
Y tan al vivo sacada
Que si te ves te holgarás
Viéndote tan bien pintada.

Y si acaso no supieres
Dónde me hallarás a Mí,
No andes de aquí para allí
Sino, si hallarme quisieres
A Mí, buscarme has en tí.

Porque tú eres mi aposento,
Eres mi casa y morada
Y así llamo en cualquier tiempo,
Si hallo en tu pensamiento
Estar la puerta cerrada.

Fuera de tí no hay buscarme,
Porque para hallarme a Mí,
Bastará sólo llamarme
Que a ti iré sin tardarme
Y a Mí buscarme has en ti.

Solcherart konnte Liebe,
Seele, in Mir dich abbilden,
daß kein weiser Maler
wüßte mit solcher Kunst
solches Bild zu drucken.

Du wardst durch Liebe geschaffen
anmutig, schön und so
in meinem Innern gemalt.
Wenn du dich verlierst, meine Geliebte,
Seele, mußt du dich suchen in Mir

Denn ich weiß, du wirst dich finden
in meiner Brust abgebildet
und so lebendig getroffen, daß wenn
du dich siehst, du dich freuen wirst,
sehend dich so wohl gemalt.

Und wenn du vielleicht nicht weißt,
wo du Mich finden sollst,
geh nicht von hier nach da,
sondern wenn du Mich finden möchtest,
mußt du Mich suchen in dir.

Denn du bist meine Herberge,
bist mein Haus und (meine) Wohnung,
und so rufe ich zu jeglicher Zeit,
wenn ich finde: in deinem Denken
ist die Tür versperrt.

Außerhalb deiner mußt du Mich nicht suchen,
denn um mich zu finden,
wird es genügen, nur mich zu rufen,
Und zu dir gehe Ich ohne Zögern,
und Mich suchen mußt du in dir.

Kein Wunder, daß Mystiker mit den klerikalen Falken ihrer Konfession in Konflikt geraten, eben weil alle Konflikte ihnen letztlich wesenlos geworden sind. Begeistert singt ein Moslem [Hafis, Gedichte aus dem Diwan, Reclam 9420, S.95.50] :

Zweiundsiebzig Glaubenslehren
klauben Worte leer und tot;
Ihnen tagt, sie zu bekehren,
nie der Wahrheit Morgenrot.

Jeder sucht den Freund hier, ob er
nüchtern oder trunken sei
Und der Liebe sind Moscheen wie
Christenkirchen aufgetan.

Die geistliche Fruchtbarkeit des Jesuitenordens hat ihren Grund in der bewundernswerten Verbindung von Politik und Mystik, die seinen Stifter auszeichnete. Jenes Prinzip, das dem Ignatius von Loyola bei einer kirchenpolitischen Tagesfrage aufging, gilt in weiterem Rahmen: "Es gibt da keinen Widerspruch, denn es kann sein, daß derselbe Geist Gottes mich aus den einen Gründen zu dem einen drängt und andere, aus anderen, zum Gegenteil" [Brief vom 5. Juni 1552 an Franz von Borja].
Freunde dürfen frei miteinander reden. Eine der hübschesten Geschichten wird von der heiligen Teresa (1515-82) erzählt: Auf einer der Reisen, die sie auf holprigen Straßen von Kloster zu Kloster führten, sei mitten in einem Flußbett ein Rad gebrochen und sie habe Gottes Stimme vernommen: Siehst du, Tochter, so behandle ich meine Freunde. Ihre Antwort: Kein Wunder, Herr, daß Du so wenige hast.

 

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